Leben und leben lassen? Zum Burkaverbot

burka„Leben und leben lassen!“ Viel treffender lässt sich das Leitmotiv einer liberalen Gesellschaft wohl kaum zusammenfassen. Erlaubt ist, was die Freiheit des anderen nicht stört. Eigentlich könnte man damit die Debatte um ein Burkaverbot beenden. Bereits heute ist es verboten, eine Frau zum Burka tragen zu zwingen. Trägt sie allerdings jemand freiwillig, sind dem liberalen Staat die Hände gebunden: Niemandes Freiheit wird eingeschränkt, wenn seine Nachbarin eine Burka trägt.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich kann persönlich keine Auslegung von Religion ernst nehmen, die ihren Gläubigen solche absurden Kleidervorschriften macht. Und ja, auch Verbote können manchmal die Freiheit schützen, gerade von Frauen. Denken wir nur schon an das Verbot häuslicher Gewalt. Und ja, ich glaube alle progressiven Kräfte, ob religiös oder nicht, müssen sich mit aller Macht gegen religiöse Extremisten aller Couleur wehren. Unsere Gesellschaft braucht klare Regeln für Freiheit, Rechtsstaat und die Gleichberechtigung der Geschlechter.

Aber darum geht es den Burka-Panikmachern nicht. Es geht ihnen viel mehr darum, auf der Welle der Angst vor dem Islam ein paar einfache Wählerpunkte zu machen. Dieses Spiel ist  brandgefährlich: Es spaltet unsere Gesellschaft und verstärkt das Feindbild „Islam“ allgemein. Sie versuchen damit, die Zugehörigkeit zu unserer Gesellschaft einzuschränken: Dazu gehört nur, wer die richtige Religion, Kultur, Sprache etc. hat. Das ist aber weit an den Realitäten der Schweiz des 21. Jahrhunderts vorbei. Zu dieser Schweiz gehören das Partnerschaftsgesetz für Homosexuelle oder Atheisten genauso wie Christen und Muslime. Und zwar alle gleichberechtigt. Provokationen wie das Burkaverbot helfen wenig. Können Sie sich erinnern, wie man uns glauben machen wollte, das Minarettverbot sei ein „Bollwerk“ gegen den politischen Islam? Fakt ist: Die fundamentalistischen Spinner haben seither hierzulande mehr Zulauf denn je.

Besonders absurd ist es aber, wenn die Rechte jetzt das Verbot im Namen der Menschenrechte fordert. Noch vor ein paar Monaten hat das Parlament die Exportvorschriften für Kriegsmaterial gelockert. Damit die Schweiz gerade auch an Diktatoren und Menschenschlächter im muslimischen Mittleren Osten Waffen liefern kann. Damals spielten weder Frauen- noch Menschenrechte eine Rolle. Der Ruf nach einem Burkaverbot im Namen dieser Rechte ist also pure Heuchelei.

 

Dieser Beitrag ist – leicht gekürzt – am 20. August 2016 in der Aargauer Zeitung/Die Nordwestschweiz erschienen.

Einer
für alle

Weil es hier um uns alle geht. Mach mit!

Durch das Eingeben erklärst du dich damit einverstanden, dass Cédric Wermuth und die SP dich auf dem Laufenden halten dürfen. Mehr erfährst du hier.