An die Deutschen in der Schweiz

„Einzelne Deutsche stören mich nicht, mich stört die Masse.“ Mit diesem Satz hat eine Zürcher Nationalrätin bei euch Deutschen in Deutschland und in der Schweiz einen regelrechten Sturm der Empörung ausgelöst. Ihr Deutschen habt die Schnauze eh schon voll von uns. Und das wenig überraschend. Mit allen möglichen Tricks versucht die Schweiz ein Bankgeheimnis aufrechtzuerhalten, das es kriminellen AusländerInnen ermöglicht, ihr Geld unversteuert zu parkieren. Bezahlen dürft ihr das dann wieder, die deutschen Arbeitnehmer, die Studentinnen, die Rentnerinnen und Rentner. Und jetzt müsst ihr euch auch noch diesen Blödsinn anhören.

Ich kann euch allerdings nur empfehlen, meine lieben Deutschen, euch – zumindest was die SVP angeht – nicht zu fest aufzuregen. Es lohnt sich nicht mehr. Was wir gerade miterleben, ist der verzweifelte Auftritt einer Schauspieltruppe, die nach und nach ihre Masken verliert. Überall kommen dahinter die wahren Gesichter zum Vorschein: Parteiexponenten verletzen das Bankgeheimnis oder bereichern sich an Erbschaften, bei den eigenen Fraktionswahlen wird gemauschelt, man lanciert mit Kinderschändern eine Volksinitiative und auch im Aargau leistet sich die Partei regelmässig Schlagzeilen um Wucherzinsen, um Ortsparteien, die mit «Sau-Türken» und «Drecks-Jugos» Kampagnen machen, um Raser auf Grossratslisten und um Mandatare, die auf offener Strasse Familienmitglieder verprügeln. In diesem Zusammenhang sind auch die letzten Eskapaden gegen die Deutschen zu verstehen. Es ist der verzweifelte Griff einer Partei, die die Kontrolle verliert und nach dem letzten Strohhalm greift: dem offenen Rassismus.

Was die extreme Rechte in diesem Land vor allem verunsichert: Ihr Welterklärungsmodell gerät ins Wanken. Bis vor kurzem war ihre Botschaft einfach: Ihr müsst einfach gegen oben – gegen Banken, Manager, Chefs und Abzocker – kuschen und dafür gegen unten – gegen Ausländerinnen, Asylsuchende, Muslime oder Invalide – umso fester zutreten. Und wenn ihr unserer Politik folgt, dann fallen auch für euch ein paar Brosamen ab. Dummerweise erweist sich dieses Programm zunehmend als kapitale Lüge.

Vor wenigen Tagen hat der Schweizerische Gewerkschaftsbund zum zweiten Mal einen Bericht über die Verteilung der Löhne und Vermögen in der Schweiz publiziert. Die Ergebnisse sind schockierend. Seit 1994 ist die gesamtwirtschaftliche Produktivität zwar um rund 17 Prozent gewachsen, die unteren und mittleren Löhne allerdings nur zwischen 6 und 9 Prozent. Der Rest wurde oben abgesahnt: Die 1 Prozent Topverdiener haben heute satte 35 Prozent mehr in der Kasse. Die Anzahl von Topverdienern mit Löhnen über 500000 ist bis 2008 um 331 Prozent gewachsener, jene mit über 1 Million sogar um 454 Prozent.

Das Dramatideutschesche: Dank den bürgerlichen Reformen bei Steuern und Abgaben werden diese Differenzen durch den Sozialstaat nicht einmal mehr korrigiert. So bleibt den tiefsten Löhnen vom durchschnittlichen Bruttolohnzuwachs von 3900 Franken nach Abzug von Steuern, Abgaben, Mieten und Kopfprämien bei den Krankenkassen unter dem Strich ein Minus von 1300 Franken jährlich.

Bei den mittleren Löhnen ist es noch ein Minus von 300 Franken. Ganz anders oben: Die einkommensstärksten 10 Prozent haben im Schnitt 6900 Franken mehr, das Top-1-Prozent liegt sogar 23700 Franken im Plus. Von den Steuersenkungen haben also jene profitiert, die eh schon viel haben. Im Klartext: In der Schweiz wird heute nicht etwa Geld von oben nach unten umverteilt, sondern genau umgekehrt – und das im grossen Stil.

Ihr seht, meine deutschen Freundinnen und Freunde: Ihr seid nicht unser Problem. Im Gegenteil. Eigentlich sind wir ja sogar etwas neidisch auf euch. Ihr beherrscht die Schriftsprache und eure Nationalmannschaft kann zwei gerade Schritte hintereinander tun. Die SVP war vielleicht einmal die Schweiz, sie ist es aber nicht mehr. Und wenn sie jetzt ihr Heil darin sucht, die Gesellschaft noch mehr zwischen «uns» und «euch» zu spalten, dann verkauft sie uns alle für ziemlich dumm.

Die Leute haben gemerkt, dass das schlechte Schauspiel zu Ende ist – hoffentlich verlangen sie bei den nächsten Wahlen den Eintrittspreis zurück.

Dieser Artikel ist am 2.5.12 in der Mittelland Zeitung erschienen. Die Replik von NR Ulrich Giezendanner (SVP Aargau, 3.5.12) finden Sie hier: http://www.cedricwermuth.ch/storage/files/28.pdf

 

 

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