Es ist nicht meine Art, Stildebatten im engeren Sinne zu führen. Auch nicht, wenn es um den „Vorfall“ rund um Nationalrat Köppel und Bundesrätin Sommaruga geht. Spannend wäre auf dieser Ebene allerdings tatsächlich einmal die Frage, wie es eigentlich gelingt, dass gerade jene, die vordergründing Anstand und Moral wieder herstellen wollen (die Konservativen), andauernd gegen Anstand und Moral verstossen. Aber das ist Stoff für einen anderen Text.
Tatsächlich bewegt mich eher ein Zufall zu diesen Zeilen. Vor zwei Wochen habe ich mit einigen Genossinnen der SP Frauen über die auffällige Fixierung der Weltwoche auf den Wandel weiblicher Rollenbilder diskutiert. Das Blatt lamentiert regelmässig über die „Verweiblichung der Männer“ und die Entweiblichung (oder wie man das nennt) der Frauen durch die Gendermainstream-Feminismus-Geschlechterverwirrungs-BAG-Gleichstellungsbüro-Verschwörung (so genau konnte ich mir das nicht merken). Die Frauen am Tisch haben in der Mehrheit eine Erklärung vertreten, die mir nicht recht einleuchten wollte (wahrscheinlich habe ich es einfach nicht verstanden): Der Frust, an starken Frauen zu scheitern. Neudeutsch in etwa „Oversexed and underfucked“. Dann habe ich etwas gelesen (und wiedermal festgestellt, wie grobfahrlässig die Linke das herrschaftskritische Potential feministischer Theorie ignoriert). Überzeugt hat mich allerdings kein anderer als Roger Köppel persönlich.
Erstens gilt es festzuhalten, dass es kein Zufall ist, dass sich Köppel seine Respektlosigkeit gegenüber Simonetta Sommaruga – eine Frau – und nicht etwa Alain Berset leistet. Der Inhalt seines von Argumenten vollkommen unbelasteten Statements zeigt ein klassisches, sexistisches Muster: Der (vermeintlich) starke Mann, erklärt der naiven Frau („frivole Leichtfertigkeit“ – ein frivoler Pleonasmus übrigens), dass sie besser zu Hause bleiben und die Männer ihre Arbeit machen lassen würde, anstatt mit ihrer Unbeholfenheit („Oder soll ich eher sagen: Eine Selbsterpressung?“) und intellektuellen Unterlegenheit alles noch schlimmer zu machen: „Ich weiss, Frau Bundesrätin, Sie haben es nicht so gern, wenn man die Dinge beim Namen nennt, wenn man sagt, wie es wirklich ist.“ Auf der anderen – biologischen – Seite steht der aufrechte Mann. Ein Mann, ein Wort und das Sturmgewehr aus der Milizarmee griffbereit im Schrank: „Die SVP lässt sich nicht von der EU erpressen!“
Zweitens ist die sexuelle Konnotation auffällig: „…wenn Sie den Leuten die Häuser und die Wohnungen wegnehmen wollen, um dort die von Ihnen ins Land geholten jungen Männer aus Gambia, Somalia oder Eritrea als Asylanten unterzubringen.“ Ebenfalls ein sehr klassisches, patriarchales und rassistisches Muster: Die Angst vor dem triebgesteuerten, sexuell – und biologisch – überlegenen Afrikaner, der uns unsere wohlanständigen Frauen raubt und zur Bedrohung unserer Kultur wird: „The big black phallus is a threat not only to the white master (who shrinks in importance from the thought that the subordinate black male is potent and sexually more powerful than he), but also to civilization itself, since the ‚bad object’ represents a danger to white womanhood and therefore miscegenation and racial degeneration“[2]. Respektive hier die Angst, diese – starken – Frauen („hochnäsig“, Köppel auf 20min.ch), könnten sich „dem Afrikaner“ (der dann auch noch hier bleiben will!) freiwillig zuwenden, weil es der verweichlichte Weisse nicht bringt. Schlimmer noch, diese Frauen entziehen sich dem patriarchalen Schutz vor dem gefährlichen schwarzen Mann! Oder wie es Ulrich Reiz (Focus) formuliert: Gefährdet sei das „Seelenheil von Männern, die Partnerinnen nicht mehr beschützen können“ (zitiert aus dem lesenswerten Artikel von Alan Posener zu den Kölner Vorfällen in der Welt). Die Parallele zum Mythos der sich wie Karnickel vermehrenden Muslime, die „unsere“ Frauen belästigen und in kurzer Zeit durch ihre überlegene sexuelle Potenz „die Mehrheit“ stellen werden, ist kaum zu übersehen. Man lese dazu den spannenden Artikel von Alan Posener zu den Kölner Vorfällen in der Welt. Interessant und politökonomisch erhellend wäre jetzt hier dem liberalen (sic!) Ursprung der rassistischen Grenzziehung zwischen Zivilisation und Barbarei ein paar Zeilen zu widmen (irgendwie musste man ja die brutale Unterdrückung der Kolonien im Zuge der Ausbreitung des Kapitalismus im 19. Jahrhundert, die Sklaverei und die Verweigerung der bürgerlichen Rechte an Juden, Arbeiter und Frauen im Namen der Werte der französischen Revolution rechtfertigen. Also hat man herausgefunden, dass die liberale Gesellschaft nur etwas für voll entwickelte Menschen sei. Die Barbaren muss man also zuerst nacherziehen. Diese Logik klingt übrigens bis heute in unserem Verständnis von Integrationspolitik nach). Aber ich muss um 10 in die nächste Sitzung, und habe ausserdem in einem anderen Artikel in – welche Ironie – der Weltwoche dazu bereits mal was geschrieben. Wer es genauer Wissen will, dem sei Band IV der Weltsystemtheorie von Immanuel Wallerstein empfohlen[3].
Zizek deutet die zunehmende ritualisierte, sexuelle Gewalt als Aufstand der Patriarchen gegen den Versuch, diese Herrschaftsverhältnisse zu stürzen. Vorerst mit Blick auf die Gewalt gegen Frauen in stark patriarchalen Milieus in Pakistan, in mexikanischen Drogenbanden und der katholischen Kirche schreibt er: „Eine erschreckende Auswirkung der Ungleichzeitigkeit der unterschiedlichen Stufen gesellschaftlichen Fortschritts ist der Anstieg von Gewalt gegen Frauen – nicht nur von wahlloser, sondern von systematischer Gewalt, die für einen bestimmten gesellschaftlichen Kontext charakteristisch ist, einem Muster folgt und eine klare Botschaft übermittelt.“ Und weiter zum Beispiel ritualisierter Gewalt in Juarez (Mexico): „Die Taten zielen auf alleinstehende Frauen, die in den dort neu errichteten Fabriken arbeiten – ein klarer Fall von machistischem Verhalten als Reaktion auf die neue Klasse unabhängiger, berufstätiger Frauen […] In all diesen Fällen provozieren soziale Umbrüche als Folge der schellen Industrialisierung und Modernisierung brutale Reaktionen von Männern, die diese Entwicklung als Bedrohung erfahren.“[4] Es scheint mir nicht allzu abwegig, den zunehmenden verbalradikalen Chauvinismus in unsereren Gesellschaft (Bachelor, der Sexismus im HipHop, eben die Neocons) als dem „gesellschaftlichen Kontext charakteristische“ Reaktion auf die Bedrohung und das Scheitern an der neuen Klasse erfolgreicher Frauen zu verstehen. Paradoxer rebellieren die neoliberalen Neokonservativen (ja, ein besserer Begriff ist mir nicht eingefallen) damit gegen die Geister, die sie selber riefen. Sie sind es, die mit einem Teil ihres Programmes halfen, die alten Mauern der geordneten Gesellschaft einzureissen. Im übrigen ist interessanterweise die heftige Reaktion auf die „Geschlechterverirrungen“ (und homosexuelles Sodom und Gomorra) des „liberalen Westens“ zu einer der Hauptspeerspitzen der Achse aller autoritären Antidemokraten von Putin über Orban und Köppel bis zu den Islamisten geworden.
Simonetta Sommaruga gerät ins Kreuzfeuer: Sie verkörpert par excellence den Aufstieg der Frauen in unserer Gesellschaft und steht auch noch dem für Migration zuständigen Departement vor – und sie ist den Köppels und Konsorten nun mal intellektuell wie politisch meilenweit überlegen. Sie ist für diese Leute der Inbegriff sowohl des Albtraumes als auch von aller Gelassenheit gegenüber der Welt, die ihnen immer fern sein wird.
Um zurück zu kehren zur Ausgangsthese: Was tut man mit etwas, an das man aus eigenem Unvermögen nicht heran kommt? Man beginnt es zu hassen um es nicht mehr begehren zu müssen („Ich wollte in diesem kommerzialisierten Fussball sowieso nie berühmt werden“). Der Frust an den emanzipierten – überlegenen – Frauen zu scheitern, entlädt sich in der Entstellung derselben, als gar nicht mehr begehrenswerte Verirrung: „Männer, die beruflich Karriere machen, werden sexuell attraktiver. Frauen, die im Beruf aufsteigen, werden sexuell weniger attraktiv“ (Köppel zitiert auf Infosperber).
Ob das Rauslaufen jetzt die richtige Antwort war oder nicht, ist eine sinnlose Diskussion. Vielmehr müssen wir uns fragen, in welcher Gesellschaft wir eigentlich angekommen sind. Umso mehr, wenn ein Experte (wenn ich das Wort nur schon höre…) im vollen Ernst kommentieren kann: „Köppel tut dem langweiligen Betrieb gut.“ Sexistische Politik als Unterhaltung – the show must go on (ich verweise wiederum bescheidenerweise auf einen Text meiner Wenigkeit).
— work in progress, Kritik sehr erwünscht! —
[2] Kobena Mercer, „Skin Head Sex Thing: Racial Difference and the Homoerotic Imaginary“, in Adams/Savran (Hrsg.): Masculinity Studies Reader, Blackwell 2002, S. 191. Habe das Buch auch nicht mehr gefunden, zum Glück gibt’s Google Books. Darum zitiert aus Colin/Schössler/Thurn: Prekäre Obsession: Minoritäten im Werk von Rainer Werner Fassbinder, Google Books, S. 82.
[3] Immanuel Wallerstein, The Modern World-System IV: Centrist Liberalism Triumphant, 1789-1914
[4] Slavoj Zizek, Der neue Klassenkampf, S. 26f