Die Tagesschau vom 3.12.15 hat einen kurzen Ausschnitt aus meiner Rede zum Voranschlag 2016 des Bundes ausgestrahlt. Nach dieser Rede kam es zu einem heftigen Schlagabtausch mit den so genannten „Bauernvertretern“ der SVP. Hier gibt es die ganze Rede und die anschliessenden Fragen und Antworten.
Cédric Wermuth (SP, AG): Herr Kollege Schwander, ich komme nachher noch einmal zu Ihnen, denn die Frage haben Sie mir ja nicht beantwortet; vielleicht machen Sie es dann ohne Mikrofon.
Ich möchte etwas Grundsätzliches zur Entwicklung der Bundesfinanzen sagen und – zumindest zu einem Teil dieses Saales – insbesondere zum dauernden Bashing auf das Bundespersonal. Wenn Sie jetzt argumentieren, wir hätten eine übermässige Steigerung des Stellenbestandes des Bundes in den letzten Jahren, dann bitte ich Sie doch einfach, die Zahlen mal wirklich anzuschauen, über die Sie zu sprechen glauben. Und nehmen Sie etwas mehr als vier Jahre, nehmen Sie zehn, fünfzehn Jahre. Dann werden Sie feststellen, dass wir heute eigentlich wieder beim Stellenbestand von 2003 sind. Wissen Sie, was nach 2003 passiert ist? Sie haben den Herrn Kollegen Merz in den Bundesrat gewählt. Wir haben Ihnen damals gesagt, dieses Abbauprogramm sei nicht nachhaltig, diese Stellen würden Sie beim Bund innert Jahren wieder haben. Der Zickzackkurs in der Personalpolitik ist das Ergebnis einer bürgerlichen Mehrheit im Parlament und im Bundesrat und damit einer kurzfristigen Finanzlogik. Das haben Sie sich selber eingebrockt, das hat mit der Verwaltung und mit dem aktuellen Bundesrat wenig zu tun.
Faktisch ist der Personalbestand tatsächlich, gemessen an den Gesamtausgaben des Bundes, seit fünfzehn Jahren stabil, und es gibt auch kein übermässiges Wachstum in den letzten Jahren. Nehmen Sie die Beschäftigungsentwicklung in der Schweiz in der Zeit von 2007 bis 2013: Es sind um die 10 Prozent zusätzliche Beschäftigung. Der Bund ist in Vollzeitstellen nur um 8,3 Prozent gewachsen. Wenn schon, hat sich die Bundesverwaltung im Vergleich zum Beschäftigungswachstum in der Schweiz unterdynamisch entwickelt.
Wenn Sie jetzt einmal mehr mit Ihren Kürzungsanträgen und Querschnittanträgen verlangen, dass das Personal Ihre verfehlte Finanz- und Wirtschaftspolitik ausgleicht, dann muss ich Ihnen schon sagen, Herr Hausammann: Sie haben hier vorne die Situation der Bauern beklagt. Ich verstehe das. Ich sehe, dass einige Betriebe mit der neuen Agrarpolitik wahrscheinlich tatsächlich weniger Einnahmen im tieferen fünfstelligen Bereich haben. Aber schauen Sie sich die Lohnentwicklung, die Lohnmassnahmen beim Bundespersonal einmal an. Was bedeuten denn die bereits beschlossenen Kürzungen auf Oktober und 1. Januar? Nehmen Sie einen Informatiker, der 2015 beim Bund mit einem Bruttolohn von 65 000 Franken neu einsteigt. Nach zehn Jahren bedeuten die Lohnmassnahmen für diese Person einen Lohnrückstand von 20 000 Franken. Das ist Ihnen dann egal, wenn es um das Bundespersonal geht.
So geht es nicht. Entweder müssen alle beitragen oder dann gar niemand. So können Sie mit dem Personal des Bundes nicht umgehen. Wir wehren uns gegen diese Einschnitte, wir werden es auch im Stabilitätsprogramm tun. Wir wehren uns aber insbesondere heute gegen die Querschnittkürzung.
Wenn Sie auf der einen Seite sich fragen, warum halten dann die Ausgaben des Bundes vielleicht nicht mit seinen Einnahmen Schritt, wenn wir es in die nächsten Jahren extrapolieren, dann empfehle ich Ihnen zwei Dokumente. Lesen Sie erstens den Bericht über die Entwicklung im Personalbereich, den die ständerätliche Schwesterkommission verlangt hat. Sie finden hier detailliert aufgelistet, nach jedem Departement und Amt, wo genau welche Aufgabe der Bund neu an welches Personal übertragen hat. Sie werden feststellen, dass es ausschliesslich Aufgaben sind, die Sie hier drin mit Ihrer bürgerlichen Mehrheit beschlossen haben. Wenn Sie etwas ändern wollten, hätten Sie es längst in der Hand gehabt.
Dann müssen Sie die Medaille einmal umkehren und schauen, was denn mit den Einnahmen passiert ist. Und dann müssen Sie eben die Zahlen anschauen und nicht diese Staatsquotenphobie hier jedes Mal wieder von vorne herunterbeten. Das hat nämlich relativ wenig Aussagekraft. Schauen Sie sich die Steuerstatistiken an. Nehmen Sie die juristischen Personen im Jahre 2000: 4,3 Prozent Nettosteuerertrag gemessen an den 140 Milliarden Reingewinn, die dazumal in diesem Land erwirtschaftet worden sind. 2012 sind wir bei mehr als dem Doppelten, was wir an Reingewinn in diesem Land erwirtschaften. Aber der Nettosteuerertrag ist nur noch 2,8 Prozent gemessen an diesem Reingewinn. Damit haben Sie das strukturelle Defizit geschaffen. Die Gründe, warum der Bund an gewissen Stellen jetzt tatsächlich in ein Finanzierungsproblem hineinkommt, sind insbesondere einnahmenseitig, weil die Entwicklung des Bundeshaushaltes mit der Entwicklung unserer Gesellschaft nicht Schritt hält.
Dann noch ein letztes Wort, insbesondere zu den Argumenten, die wir vorhin gehört haben betreffend die Kürzungen in der Landwirtschaft: Tatsächlich, wenn wir die Bereiche anschauen, haben Sie dort Kürzungen. Aber erklären Sie doch einmal Ihrer Basis, was sie denn geglaubt hat. Wenn sie Parteien wählt, die seit zehn Jahren landauf, landab erklären, der Bund müsse sein Budget überall kürzen, überall die Beträge herunterfahren, überall weniger ausgeben, alle Staatssubventionen zurückfahren – ja, dachten Sie im Ernst, das würde irgendwann einmal nicht auch die Bauern treffen? Wo leben wir denn? Wenn Ihre Leute wirklich etwas tun wollen für eine ausgewogene Wirtschaftspolitik, dann empfehlen Sie ihnen, bei den nächsten Wahlen andere Vertreterinnen und Vertreter anderer Parteien zu wählen, die sich dann wirklich Bäuerinnen- und Bauernvertreter nennen können, die sich für die Bauern einsetzen und nicht langfristig tiefere Einkommen produzieren. Vielleicht können wir das dann ja später bei den entsprechenden Positionen noch einmal diskutieren.
Ich bitte Sie, das Budget, wie es Kollege Hadorn gesagt hat, zumindest kritisch zu betrachten und es damit so, wie es vorliegt, abzulehnen.
Amstutz (SVP, BE): Herr Kollege, Sie sind ja ein Meister der selektiven Wahrnehmung. Ich möchte Sie fragen: Sind Sie sich bewusst, dass die Landwirtschaft – im Gegensatz zum Sozialwesen, zum Bereich Bildung und Forschung oder zur Auslandhilfe – in den letzten zwanzig Jahren lediglich ein reales Wachstum von 7 Prozent hatte, dass die Armee ein „Wachstum“ von minus 17 Prozent hatte, während Ihr Steckenpferd, die Auslandhilfe, ein Wachstum von 180 Prozent hatte?
Wermuth: Wissen Sie, Herr Amstutz, Sie müssen die Ausgabenentwicklung des Bundes immer mit der Entwicklung seiner Aufgaben in Verbindung bringen. Sehen Sie, wenn der Bestand an Bauernbetrieben in diesem Land zurückgeht, wenn die Bedeutung der Bauernbetriebe am Bruttoinlandprodukt zurückgeht, dann ist es klar, dass auch der Globalaufwand entsprechend kleiner ist. Es gibt eine ganz schöne Notiz, ich glaube von der Steuerverwaltung, Sie finden sie in den Unterlagen, die die Personalentwicklung des Bundes mit der Entwicklung der Einkommen der Landwirtschaft vergleicht. Dort sehen Sie, dass die Einkommen der Landwirtschaft pro Betrieb im Vergleich zum Bundespersonal überproportional gestiegen sind. Sie müssen nicht lachen! Wissen Sie, was Sie machen müssen? Sie müssen Herrn Ritter und seine Kollegen vom Bauernverband fragen, wo denn die Publikation der Studie bleibt, die sie über die Einkommen und die Situation der Bauern und deren Zufriedenheit mit der Agrarpolitik 2014-2017 gemacht haben. Sie haben sie nämlich nicht publiziert. Ich würde sie gerne einmal sehen, ich bin sicher, wir würden uns dann etwas anders unterhalten.
von Siebenthal (SVP, BE): Herr Kollege, ist es nicht die Aufgabe der Landwirtschaft, die Ernährung für unser Volk und Land sicherzustellen?
Wermuth: Doch, absolut, ich bin mit Ihnen einverstanden. Sehen Sie, ich bin im Freiamt aufgewachsen. Bei uns ist das Bauernsterben nicht eine theoretische Grösse aus der Zeitung, sondern damit bin ich gross geworden. Was ich Ihnen sage, ist Folgendes: Sie können hier nicht nach vorne kommen, von allen andern verlangen, dass sie Abbaubemühungen mittragen, von allen andern verlangen, dass weniger Geld ausgegeben wird, aber für sich selber dann eine Ausnahmeklausel verlangen, und das tun Sie mit Ihren Anträgen. Ich bin mit Ihnen einverstanden, und ich trage mit, die Einkommen der Bauern so zu entwickeln, dass sie davon leben können. Aber Sie können dann nicht vom Bundespersonal Kürzungen verlangen, Sie können dann nicht Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit verlangen, das geht nicht.
Bourgeois (FDP): Je ne voulais pas intervenir à la tribune, mais vous m’avez poussé à le faire. Savez-vous que le revenu agricole pour l’année 2015 est en diminution de 11 pour cent? Pouvez-vous le confirmer? Ne pensez-vous pas que cet élément suffit pour que l’on se préoccupe de la situation, par égard aux familles paysannes?
Wermuth: Doch, Herr Kollege – Sie haben mir leider vorhin nicht zugehört -, genau das habe ich gesagt. Es ist mir durchaus bewusst, dass die Einkommen im Jahr 2015 einbrechen. Ich habe Ihnen gesagt, dass wir darauf reagieren müssen. Da haben wir keine Differenz. Der Punkt ist ein ganz anderer: Der Punkt ist, dass Sie hier vorne vom Bundespersonal nicht einen Verzicht von 30 Millionen Franken bei der Lohnentwicklung fordern können, aber für Ihre Klientel dann eine Ausnahmebedingung wollen; das geht nicht. Kommen Sie auf unsere Seite, bauen Sie mit uns ein vernünftiges Budget des Bundes, dann finden wir eine Lösung, dazu bieten wir immer Hand. Legen Sie sich nicht ins Bett mit einer neoliberalen Fiskalpolitik, die gescheitert ist.
Grin (SVP, VD):Monsieur Wermuth, j’ai bien entendu que les paiements directs ont augmenté au niveau des exploitations. Mais savez-vous que les paiements directs sont faits pour compenser les baisses de prix et pour garantir les prestations écologiques? Actuellement, on a de fortes baisses de prix dans l’agriculture, alors pourquoi vouloir encore diminuer les paiements directs?
Wermuth: Ich habe Ihnen die Frage jetzt dreimal beantwortet, Herr Kollege Grin. Wir haben in Bezug auf die Situation der Bauern keine Differenzen. In meinem Kanton, sogar in meiner Partei gibt es Bauern, die dieses Jahr – sagen sie – 20 000 Franken weniger Einkommen haben. Das kann ein normaler Haushalt nicht verkraften, das kann niemand verkraften; das ist mir schon klar. Aber Sie müssen die Frage eben strukturell stellen. Wenn Sie jetzt einfach eine Erhöhung über das „Schoggi-Gesetz“ fordern, löst das die Strukturprobleme, die wir in der Landwirtschaftspolitik haben, nicht. Diese gehen wir mit der Agrarpolitik 2014-2017 an; das wird sich über mehrere Jahre erstrecken. Sie müssen aber aufhören, hier drin immer jeden Kürzungsantrag mitzutragen. Diese Kürzungen sind das Problem. Unsere Hand ist ausgestreckt für eine faire Agrarpolitik – aber nicht, wenn Sie die anderen dafür zahlen lassen!
Salzmann (SVP, BE):Herr Kollege, der durchschnittliche Arbeitsverdienst eines Landwirtes, also einer Familienarbeitskraft, beträgt 48 000 Franken. Wie hoch ist der durchschnittliche Lohn beim Bund?
Wermuth:Ich muss Sie ehrlicherweise, damit ich keine falsche Zahl sage, nachher an die Finanzministerin verweisen, was den Durchschnittslohn des Bundes angeht. Wir haben die Zahlen kürzlich erhalten: Er ist deutlich höher. Ich kann nur die Antwort wiederholen, die ich Ihnen vorhin schon gegeben habe: In mir finden Sie, sooft Sie es auch zu betonen versuchen, keinen Feind einer fairen Bezahlung der Bäuerinnen und Bauern in diesem Land – überhaupt nicht. Aber in mir finden Sie einen entschiedenen Gegner jener, die behaupten, die Bauern zu vertreten, und nur versuchen, ein grösseres Stück des Kuchens bei anderen wegzunehmen, um es der eigenen Klientel dann wieder zu verteilen. Das geht nicht.