Der Gottedienst der internationalen Finanzmärkte – Rede zur Spekulationsstopp-Initiative

spekulation_ok12Wir müssen uns bei dieser Initiative drei Fragen stellen. Die erste ist die nach der vorliegenden Evidenz, die zweite ist die nach dem Vergleich mit Artikel 118 des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes, die dritte ist die nach der politischen Bedeutung dieser Initiative.
Wenn wir die Evidenz betrachten, können wir die Sache selbstverständlich drehen und wenden, wie wir wollen; aber wenn wir die Studie von Organisationen nehmen, die selber kein direktes oder indirektes Interesse an der Sache haben und nicht nur einer ideologischen Denkschule angehören, ist es relativ eindeutig: Mindestens wenn es darum geht, kurzfristige Preisschwankungen zu erklären, beispielsweise beim Peak 2007/08, spielt die Spekulation eine entscheidende Rolle.
Wir können aber auch die Akteurinnen und Akteure selber fragen. Ich habe Ihnen die Liste mit den 136 Studien und Aussagen von Tradern mitgebracht, die Herr Jans erwähnt hat; ich kopiere sie gerne für alle, die sie sehen wollen. Paul Woolley zum Beispiel, ein Fondsmanager, sagt: „With the flood of passive and active investment funds going into commodities from 2005 onwards, prices have been increasingly driven by fund inflows rather than fundamental factors. Prices no longer provide a reliable signal to producers or consumers.“ Oder nehmen Sie George Soros, der sein Geld in den Anfangsjahren unter anderem mit Nahrungsmittelspekulation gemacht hat: „… speculators create the bubble that lies above everything … their business distorts prices, which is especially true for commodities. It is like hoarding food in the midst of a famine, only to make profits on rising prices. That should not be possible.“
Wenn man die Sache neutral anschaut, ist die Frage der Evidenz relativ klar. Wie sonst erklären Sie sich, dass sich das Volumen der Derivate allein zwischen 2007 und 2011 verdoppelte und dass bereits 2008 das Volumen der Fonds 260 von 410 Milliarden Franken ausmachten?
Artikel 118 Finfrag deckt bei Weitem nicht ab, was die Initiative will.
Erstens ist der Artikel nur ordnungspolitisch verankert. Er hat kein materielles politisches Ziel, Frau Chevalley, wie es die Initiative will, sondern er schreitet nur dann ein, wenn die Technokraten den Eindruck haben, dass der Basismarkt nicht mehr dem Derivatemarkt entspricht. Das kann sehr weit weg vom Beginn der Spekulation sein.
Zweitens ist es ein Kann-Artikel. Wir wissen alle, was mit Kann-Artikeln in diesem Lande geschehen kann. Denken Sie an die Einführung der Mutterschaftsversicherung!
Drittens, ein ganz entscheidender Punkt, macht die Initiative eben einen entscheidenden Schritt hin zu einem unverzerrten Nahrungsmittelmarkt, weil sie Drittanbieter, Leute, die weder mit der Produktion, noch mit der Konsumation dieser Nahrungsmittel etwas zu tun haben, ausschliessen will – z. B. unsere Pensionskassen. Es geht um ein ganz starkes moralisches Signal der Politik, das Artikel 118 Finfrag nicht macht.
Die politische Relevanz dieser Initiative wurde bereits mehrmals erwähnt: Es sind die 800 Millionen hungernden Menschen, die 2 Milliarden Menschen weltweit, die zusätzlich an chronischem Hunger leiden. Alle 2,5 Sekunden stirbt auf dieser Welt ein Mensch an den Folgen des Hungers. Wir können das durchspielen: Tack, tack, tack, tack, tack, tack. Sie sehen, das fährt ein, wenn man es sich bildlich vorstellt. In dieser kurzen Zeit sind sechs Menschen an den Folgen der Nahrungsmittelpreisentwicklung, an den Folgen des Hungers und – auch wenn es nur 8 Prozent sind, wie die Studie der Universität Luzern sagt -, an den Folgen der Nahrungsmittelspekulation gestorben.
Die Initiative stellt im Kern eine zentrale politische Frage. Sie stellt die Frage, ob die Politik und die Demokratie noch imstande sind, das Versprechen einzulösen, das sie einmal gegeben haben. Wir selber sollen ohne den Einfluss irgendeines Kaisers, eines Tribuns oder des Götzen des freien Weltmarktes sagen können, was wir tun und welche politischen Ziele wir erreichen wollen. Wir haben heute Morgen ein bisschen den Gottesdienst der Ohnmacht der Demokratie vor den internationalen Finanzmärkten mitbekommen. Offenbar können wir nichts tun. Bitte führen Sie sich vor Augen, was das bedeutet! Wenn wir unfähig sind, gegen den Hunger, der diese Welt beherrscht, politisch vorzugehen, dann wird unsere Epoche einmal in die Geschichte eingehen als diejenige, in der es nicht geschafft worden ist, das dramatischste Problem dieser Welt zu lösen. Dann müssen wir die Übung hier abbrechen, dann machen wir Politik für nichts. Das kann nicht das Ziel sein.
Ich bitte Sie, diese Initiative mit Überzeugung zur Annahme zu empfehlen.

Diese Rede wurde am 17.9.2015 im Nationalrat gehandelt. Quelle: Amtliches Bulletin.

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