Der Schleier ist gefallen

Wieder einmal sind unsere Zeitungen und Fernsehsendungen mit einem „wahnsinnig wichtigen“ Thema gefüllt: Der Debatte um ein Burkaverbot. Eines vorneweg: Niemand will, dass sich solche Vollschleier in der Schweiz ausbreiten. Das wäre ein Rückfall ins gesellschaftliche Mittelalter. Gemäss Bundesrat tragen vielleicht 100 Frauen in der Schweiz überhaupt eine Burka. Das wären dann 0.001% der gesamten Bevölkerung. Die meisten von ihnen sind Konvertitinnen und Touristinnen. Die aktuelle Debatte ist darum vor allem eines: Ein riesiges Verschleierungsmanöver der bürgerlichen Parteien.

Man versucht uns weis zu machen, das grosse Problem der Schweiz seien ein paar verschleierte Frauen. Es ist kein Zufall, dass die Debatte gerade jetzt läuft. Der bürgerliche Filz in Bern versucht nämlich wieder einmal seine Machenschaften zu vertuschen. Seit Beginn der Finanzkrise fordert eine krasse Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer endlich Massnahmen gegen die Risiken in der unkontrollierten Finanzwelt und gegen überrissene Boni. Jetzt hätte das Parlament im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Staatsvertrags mit den USA die Möglichkeit, die entsprechenden Massnahmen zu ergreifen. Aber es passiert das Gegenteil. Sogar die SVP kippte vor wenigen Tagen ins Lager der Abnicker. Seit Januar versuchte sie sich als Anti-Abzocker-Partei hochzuspielen. Und plötzlich will sie nichts mehr wissen von Boni-Steuern. Jetzt ist der Schleier gefallen – darunter ist das wahre Abzockergesicht zum Vorschein gekommen. Im Juni dieses Jahres wird also die Mehrheit der Parlamentarier und Parlamentarierinnen vor dem Willen der Abzocker in den Grossbanken in die Knie gehen und den Staatsvertrag mit den USA ohne eine einzige Reform des Finanzmarktes und ohne eine einzige Bedingung für die UBS abnicken.

Wer dabei das Offensichtliche nicht wahrhaben will, muss blind und taub zugleich sein. Zur Erinnerung: Der ehemalige CS-Verwaltungsratspräsident Walter Kielholz hat letztes Jahr bei einem Treffen gleich selber erklärt, wie das politische „Lobbying“ bei den bürgerlichen Parteien funktioniert. Die Grossbanken führen eine Liste mit den für sie wichtigen Vorstössen im Parlament – also allen Vorstössen, die endlich eine Regulierung der Finanzwelt oder eine vernünftige Lohnpolitik einführen wollen. Dann schauen sich die Banken die Abstimmungsresultate der bürgerlichen Parlamentarier an. Jede „richtige“ Stimme wird mit einem fixen Betrag multipliziert. Dieser Betrag geht dann als „Spende“ an die jeweiligen Fraktionen von FDP, CVP und SVP. Jede bürgerliche Parlamentarierin weiss somit bei jeder Abstimmung genau, wie viel ihre Stimme die Partei kosten könnte. Pro Jahr fliessen so mindestens eine halbe Million Franken an die drei Parteien. Und natürlich wehren sie sich mit Händen und Füssen gegen mehr Transparenz in der Parteienfinanzierung. Gemäss der Anti-Korruptionsorganisation Transparency International bewegt sich die Schweiz in einer Liga mit Staaten wie Albanien, den Bahamas oder Sri Lanka. In einem anständigen Rechtsstaat würde man schon lange von Korruption sprechen.

Bei diesem Filz aus Wirtschaft und Politik, der sich gegenseitig schützt, liegt das Problem. Die Abzocker in den Chefetagen geben den Takt vor, ihre Lakaien im Parlament führen die Befehle aus. Dieser Filz schützt dann Leute wie Brady Dougan, der sich einen Lohn von 91 Millionen auszahlen lässt, während gleichzeitig 700’000 Menschen in diesem Land in Armut leben. Wenn eine kleine Gruppe von Leuten den sozialen Frieden in diesem Land ernsthaft gefährdet, dann sind es die Abzocker und ihre Freunde in allen bürgerlichen Parteien – und nicht eine handvoll verschleierte Frauen.

Und übrigens: Wer wirklich etwas gegen Fundamentalismus tun will, kämpft nicht für ein Burkaverbot. Das Burkaverbot bringt gegen fundamentalistische Ideen etwa gleich viel, wie es das Verbot von Bob Marley-T-Shirts gegen Hanfkonsum bringen würde. Nämlich gar nichts. Fundamentalistische Ideen bekämpft man in den Köpfen der Leute, und nicht auf ihren Köpfen.

Kolumne in der Mittellandzeitung vom 16.5.2010.

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