Die gängige Griechenland-Lüge

Kein Tag vergeht, an dem wir nicht mindestens eine neue Hiobsbotschaft zur Wirtschaftskrise vernehmen. Vor allem aus Griechenland. Da ist es beruhigend, dass die Medien nicht müde werden, zu erklären, dass so etwas bei uns nie passieren könnte. Schliesslich ist der Grund für die griechische Krise für alle offensichtlich: Die Griechen sind faule Säcke, zu viel Ferien, zu früh in Pension, zu hohe Löhne und ihr ausufernder Staat hat weit über seine Verhältnisse gelebt. Eine schöne Erklärung und vor allem so einfach! Es gibt nur einen Haken: Sie ist leider falsch.

Mythen und Lügen

griechenland«Die Griechen sind faul und kriegen den Hals nicht voll!» Die Griechen arbeiten im Schnitt 44,3 Stunden pro Woche – die Deutschen und die Schweizer «nur» 42 Stunden. Tatsächlich ist die Jahresarbeitszeit sogar massiv höher: Sie beträgt in Griechenland etwas mehr als 2100 Stunden, in Deutschland und der Schweiz 1400 respektive 1600 Stunden.

«Löhne und Renten sind viel zu hoch!» Die griechischen Löhne liegen nur bei 73 Prozent des europäischen Durchschnitts. Die Renten sogar nur bei 55 Prozent. Genauso liegt das tatsächliche griechische Rentenalter nicht deutlich unter dem anderer Staaten, sondern im Durchschnitt bei 61,9 Jahren für Männer (europäischer Schnitt: 63,5 Jahre, Österreich 58,9, Schweiz 65,7, Portugal 67 Jahre).

«Die Griechen haben über ihre Verhältnisse gelebt!» 2007 beliefen sich die griechischen Schulden auf 115 Prozent der eigenen Wirtschaftsleistung, Ende dieses Jahres dürften es 160% Prozent sein. Hätte dieser Anstieg etwas mit den Sozialausgaben zu tun, so müsste es in diesen Jahren in Griechenland zu einer Art «Massenverrentung» gekommen sein – dem ist aber nicht so. Andere Länder hatten oder haben vergleichbare Schuldenquoten und gehörten trotzdem nicht zu den ersten Opfern der Krise (Italien mit 120 Prozent vor der Krise, Japan sogar mit 200 Prozent). Auf der anderen Seite haben wir Irland, das seit 10 Jahren keine Defizite mehr einfährt und trotzdem mit voller Härte von der Krise erwischt wurde. Das kanns also auch nicht sein.

Das Versagen der Grossbanken

Die Krise in Europa hat andere Gründe. Allen voran das Versagen der Grossbanken – dort hat die Krise begonnen. Dies scheint heute allerdings bereits wieder vergessen. Der sprunghafte Anstieg vieler Staatsverschuldungen ist vor allem eine Folge der Bankenrettung. Perverserweise diktieren heute genau jene Banken, die wir alle eben noch mit Steuermilliarden gerettet haben, den europäischen Staaten die Zinsen für ihre Kredite und zwingen sie damit in die Knie. Und bewertet werden diese Staaten von den gleichen Rating-Agenturen, die die toxischen Papiere in den Büchern der Grossbanken jahrelang falsch bewertet haben.

Dazu kommt der verheerende Standortwettbewerb. Länder wie Deutschland haben jahrelang die Löhne ihrer eigenen Arbeitnehmenden tief gehalten und ihre Produkte mit einer aggressiven Strategie exportiert – das Gleiche passiert übrigens auch in der Schweiz. Diese Länder exportieren massiv mehr, als sie importieren. Mit der Folge, dass irgendwer in Europa nun das Umgekehrte tun muss. Und das waren aus verschiedenen Gründen die Südländer.

Private und Unternehmen (und nicht in erster Linie Staaten!) mussten sich massiv verschulden. Und weil das alles mit Krediten (der deutschen, französischen und schweizerischen Banken) passiert ist, ist die ganze Blase eines Tages geplatzt. Der Rest ist Geschichte.

Zu Recht werden Sie nun fragen, warum denn alle – Politiker, Journalistinnen, «Experten» – so penetrant an der falschen Erklärung festhalten. Diese Antwort ist allerdings einfach: Es wird knallharte Interessenpolitik betrieben. Mit der bisherigen Krisenpolitik in Griechenland und ganz Europa wurde vor allem Geld von unten nach oben umverteilt. Die Menschen verlieren Arbeit, Löhne und Renten, die Banken und Reichen streichen dank explodierender Zinsen und Steuersenkungen fetteste Gewinne ein.

Auch hierzulande. Die Reichsten 300 in der Schweiz haben ihr Vermögen seit Beginn der Krise um 7 Prozent vermehrt. Vielleicht sollten wir daran denken, wenn jetzt in unseren Kantonen wieder Steuersenkungsprogramme gefordert werden.

Artikel erschienen als Kolumne am 25.11.2011 in der Mittelland Zeitung.

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