
Ich habe Ihnen in dieser Debatte sehr aufmerksam zugehört. Der Neoliberalismus hat ja zwei grosse Geschichten oder Erzählungen, die Sie wirtschaftspolitisch verwenden, um alles zu begründen, was der politische Mainstream vorgibt: einerseits den Standortwettbewerb und andererseits die Demografie.
Die Demografie erscheint in Ihrem Diskurs immer nur als Krisen- und Katastrophenszenario – recht überraschend für politische Parteien, die sich liberal nennen und hier offenbar komplett einem biologistisch-ökonomistischen Determinismus verfallen. Tatsächlich ist es empirisch falsch, was Sie uns hier erzählen. Sie müssen nämlich, wenn Sie die sozialen Versicherungssysteme anschauen, den Gesamtlastquotienten anschauen, d. h. Sie müssen auch schauen, was die Gesellschaft an Lasten trägt, wenn auch die Jungen, die noch nicht im Arbeitsprozess sind mitgerechnet werden. Dann sehen Sie, dass der Gesamtlastquotient noch 1960 ungefähr bei 85 Prozent lag, und heute liegt er bei 60 Prozent (Daten: BFS). Die Situation für die Erwerbstätigen war also noch nie so gut. Beim Altersquotienten, Herr Lüscher, ist es genau das Gleiche: 1950 lag der Altersquotient noch deutlich tiefer als heute, nämlich bei 16 Prozent, 1980 lag er bei 23 Prozent (Daten: Historisch Datenbank der Schweiz, Tabelle B.8a). Trotzdem wurden die Altersrenten in dieser Zeit mehrfach erhöht. Wenn die AHV bankrott ginge, dann wäre sie längst bankrott gegangen, dann wird das nicht heute passieren. Wenn wir etwas wissen über all diese Prognosen – IDA FiSo als letztes Stichwort -, dann das, dass sie daneben lagen, und zwar relativ deutlich. Sie waren immer zu dramatisch (siehe Bild).
Das Zweite, was an diesem Diskurs überraschend ist, ist das wirtschaftspolitische Bild, das dahintersteht. Sie gehen in der Begründung, warum die AHV bankrott gehen sollte, von einer sehr archaischen Subsistenzwirtschaft aus. Es war vielleicht früher einmal so, dass eine Familie gleich einem Produktionsbetrieb war, und diese Wirtschaft praktisch ohne Produktivitätswachstum funktionierte. Darum war damals das direkte Verhältnis von Rentnern zu Erwerbstätigen entscheidend war für die Finanzierung des Lebens im Alter. Aber eine moderne kapitalistische Wirtschaft lebt von Produktivitätserhöhungen, sie generiert ständig ein Produktivitätswachstum. Das ist der geniale Finanzierungsmechanismus der AHV. So lange Sie dafür sorgen, dass dieses Produktivitätswachstum in diesem Land in die Löhne weitergegeben wird, so lange können wir uns eine gut ausgebaute AHV leisten. Das reine Verhältnis jedoch ist, mit Verlaub, eine Milchbüchleinrechnung.
Dann stört mich an dieser ganzen Debatte, das muss ich Ihnen ehrlich sagen, am meisten, dass immer die Generationengerechtigkeit vorgeschoben wird. Es wird uns empfohlen, wir sollen doch mehr in Richtung des Kapitaldeckungsverfahrens gehen, weil dort die Jungen die Renten der Alten nicht direkt finanzieren würden.
Es tut mir leid, aber auch das stimmt nicht. Oder was glauben Sie, woraus denn im Kapitaldeckungsverfahren die monatliche oder jährliche Rente bezahlt wird? Genauso aus dem laufenden Volkseinkommen, wie das auch bei der AHV der Fall ist. Der einzige Unterschied ist: Es läuft über die anonymen Märkte und nicht über die demokratisch-politischen Institutionen wie beim Umlageverfahren. Das ist es, was Sie am Schluss stört: dass wir einen politischen Entscheid fällen, der es schwieriger macht, für Ihre Auftraggeberinnen und Auftraggeber einen finanziellen Profit aus diesen Versicherungssystemen zu ziehen.
Meine Grosseltern, Ihre Grosseltern, meine und Ihre Eltern haben dieses Land aufgebaut, und ich wehre mich im Namen der jungen Generation gegen diesen Krieg der Generationen, der hier vom Zaun zu brechen versucht wird. Es ist inakzeptabel, dass wir gegeneinander ausgespielt werden, dass hier versucht wird, mir die Rente meiner Grossmutter madig zu machen. Ihre Generation hat längst verdient, dass sie eine anständige Rente bekommt, dass wir diese mitfinanzieren, und meine Generation ist auch bereit, das zu tun. Wir sind nicht bereit, im Interesse der Versicherungs-, der Privatwirtschaft für einen Angriff auf die AHV vorgeschoben zu werden.
Was hier mit einer bescheidenen Erhöhung der Renten um 10 Prozent vorliegt, ist absolut finanzierbar. Es liegt im Rahmen dessen, was beim Ausbau unserer Sozialversicherungen Sinn macht. Ich bitte Sie, diese Volksinitiative zur Annahme zu empfehlen.
Diese Text ist die leicht korrigierte die Abschrift einer Rede, die am 16. Dezember 2015 im Nationalrat gehalten wurde. Die gesprochene Sprache wurde belassen. Quelle und Original: Amtliches Bulletin.