Seit einigen Jahren ist die Qualität der Schweizer Medien immer wieder Thema der öffentlichen Debatte. Insbesondere Kurt Imhof, Soziologe an der Universität Zürich, schockierte Journalisten und Verleger mit der Aussage, der Zustand der Schweizer Medien entspreche nicht mehr den Anforderungen einer modernen Mediendemokratie. Für viele ist das Übel schnell klar: Es sind die Gratiszeitungen, die die Spirale noch unten losgetreten haben.
Zuerst einmal muss ich festhalten, dass ich die Feststellung zur Qualität des politischen Journalismus durchaus teilen muss. Am eigenen Leib habe ich das während der Debatte zum neuen Programm der SP Schweiz erfahren. Kaum eine Zeitung, die sich wirklich mit dem Papier auseinandergesetzt hätte. Obwohl die Endversion des Programms über 60 Seiten umfasst, drehte sich die Debatte ausschliesslich um drei Sätze zum EU-Beitritt, zur Armee-Abschaffung und zur „Überwindung des Kapitalismus“. Besonders irritierend: Keine der drei Forderungen ist neu – und an neuen Forderungen hätte es nicht gemangelt. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Konzepten im neuen Papier, fand, zumindest in den grossen Tageszeitungen, kaum statt.
Zu simpel ist allerdings der Vorwurf, an alledem seien ausschliesslich die Gratiszeitungen Schuld – Imhof spricht von einer „Barbarisierung“ der Politberichterstattung. Vergessen geht vor allem oft, dass die Gratiszeitungen – bei aller berechtigten Kritik am Kurznachrichten-Journalismus – zu einer gewissen Demokratisierung der Medienberichterstattung beigetragen haben. Ohne die Gratiszeitungen wäre es beispielsweise den Jungparteien kaum möglich, Aufmerksamkeit zu erlangen. Die JUSO hat diese Möglichkeiten in den vergangenen Jahren bewusst genutzt; heute wird sie auch von etablierten Zeitungen ernst genommen. Die Gratiszeitungen dienten dabei quasi als Steigbügelhalter.
Das Problem der etablierten Zeitungen hängt zwar mit dem Aufkommen von 20 Minuten und Co. zusammen, aber die Entwicklung ist nicht zwangsweise automatisch. Mit dem Parteiprogramm der SP Schweiz haben sich die Tageszeitungen nicht deshalb nicht auseinandergesetzt, weil dort alles unfähige JournalistInnen arbeiten würden, sondern weil sie schlicht keine Zeit mehr haben für ausgiebige Recherchen. Für die VerlegerInnen zählt nur noch die Auflage oder die Klicks im Internet. Nur diese Zahlen bringen Werbeeinnahmen. Und dafür brauchen sie Schlagzeilen und nicht fundierte Recherche.
Die Gratiszeitungen sind ein fixer Bestandteil unserer Medienlandschaft geworden. Sie sind nicht mehr wegzudenken. Gerade LehrerInnen erzählen mir auch immer wieder, dass sie froh seien um sie. Früher hätten die SchülerInnen gar nichts gelesen, heute „wenigstens“ die 20 Minuten. Wo die Kritikerinnen und Kritiker aber Recht haben ist, dass wir langsam an einen Punkt kommen, wo sich Qualitätsjournalismus und Renditegedanken nicht mehr vereinen lassen. Die Medien sind für unsere Demokratie aber zu wichtig: Wir brauchen JournalistInnen, die sich tagelang kritisch mit den Positionen und strategischen Spielen der Parteien auseinandersetzen. Deshalb sollten wir – gerade im Wahljahr – ernsthaft anfangen, über eine öffentliche Pressefinanzierung nachzudenken. Wenn die JournalistInnen nicht dauernd der besten Schlagzeile nachrennen müssten, würde vielleicht auch mal jemand das neue Programm der SP Schweiz wirklich lesen…
Hier gibt’s den Artikel im Originalzusammenhang auf Tagi-Online.
Die Replik von Grégoire Nappey, 37, Stellvertretender Chefredaktor der «24 heures».