Die aktuelle Tragikomödie um das Steuerabkommen mit Deutschland ist nur ein Beispiel von vielen. Allen ist heute schon klar: Kein Deutscher, der halbwegs bei Sinnen ist, wird dem Abkommen zustimmen. Mit der Vereinbarung sollen Kriminelle, die seit Jahrzehnten unter dem Deckmantel des Bankgeheimnis den deutschen Fiskus um Milliarden betrogen haben, straffrei davon kommen – und die Banken, die sie dazu angestachelt haben, gleich mit (schliesslich haben die Banken das Abkommen ja auch selber entworfen). Käme das Abkommen durch, wäre jeder normale Mensche blöd – in Deutschland und der Schweiz – der weiterhin brav seine Steuern zahlen würde. Deshalb wird das Abkommen im deutschen Parlament scheitern. Gelöst hätten wir dann kein einziges Problem, dafür wäre wieder mal viel Zeit verloren. Das Modell der bürgerlichen Mehrheit und damit der offiziellen Schweiz ist immer dasselbe: Mit geschlossenen Augen den Finanzspekulanten hinterher rennen, bis wir voll in die Wand knallen. Und frühestens dann schaut man sich um, ob es allenfalls auch nach rechts oder nach links einen Weg gegeben hätte.
Wenn das Parlament die Banken hofiert…
Es ist beschämend, lässt sich aber nicht beschönigen: Unsere Politik ist inzwischen zum Apportierhund der grossen Finanzinteressen geworden. Nicht Bern setzt seine Politik durch, sondern die „classe économique“ und ihre Verbündeten. Seinen wir ehrlich: Wer glaubt heute noch, dass die Mehrheit „in Bern“ wirklich die Interessen der kleinen Frau vertritt? Eben. Während die Menschen mit stagnierenden Einkommen, explodierenden Mieten und Krankenkassenprämien kämpfen, kassieren die Pleitebanker weiter munter ab. Und bezahlen dürfen wir: Mit Budgetkürzungen, sinkenden Renten, mehr Arbeitslosigkeit. So werden Demokratie und Freiheit zunehmend entwürdigt und sinnentleert. Sie gelten nicht mehr für alle, sondern nur noch für die Reichen und den Finanzplatz.
Nach neun Monaten Bern ist mir deshalb eines klarer geworden denn je: Die Schweiz braucht eine neue Bewegung für Freiheit und echte Demokratie, damit die Politik ihr Versprechen von einer Zukunft für alle statt für ein paar wenige Privilegierte wieder einlösen kann. Genau auf dieser Idee wurde unser Staat übrigens vor 164 Jahren gegründet.
Eine Schweiz der Freiheit und Demokratie
Am 12. September 1848 löste sich die Tagsatzung (eine Art früher Bundesrat) auf und setzte die erste moderne Verfassung des Landes in Kraft. Wenn auch noch lange nicht perfekt, so fusste dieses Dokument nach dem Schock des Bürgerkrieges doch schon auf der ersten Vorstellung, dass die Freiheit nur gewährleistet werden kann, wenn alle daran teilhaben – ohne Privilegien. Und diese Freiheiten haben sich die Menschen in der Schweiz seither Schritt für Schritt erkämpft: Zum Beispiel das Initiativrecht und die Proporzwahlen, die AHV und IV dank einem landesweiten Generalstreik 1918, die gesellschaftliche Freiheit mit der 68er Bewegung, das Frauenstimmrecht 1971, Pensions- (1985) und Krankenkasse (1994) oder endlich der UNO Beitritt (2002) und die Mutterschaftsversicherung (2003). Alle diese Freiheiten mussten nicht gegen Feinde von aussen, sondern von unten gegen die „eigenen“ Eliten erkämpft werden. Und genau diese Freiheiten geraten heute unter dem Druck von oben wieder unter Beschuss.
Eine Gruppe von jungen Menschen hat sich deshalb entschieden, ab sofort den 12. September als Tag von Freiheit und Demokratie, als Tag der fortschrittlichen Schweiz zu feiern. Wir wollen damit an die Errungenschaften seit 1848 anknüpfen, sie heute gegen die Feinde der Demokratie verteidigen und vor allem sie weiter ausbauen. Wer Lust hat, feiert mit: www.12september.ch
Dieser Artikel ist am 23.8.2012 in der Aargauer Zeitung/Mitteland Zeitung erschienen.