Gestern Abend (8. Mai 2017) durfte ich zusammen mit Regierungsrat Urs Hofmann das Kandidat_innentreffen der SP Stadt Baden besuchen. Meine Aufgabe bestand darin, den Kandidat_innen einige Dos und Don’ts für Lokalwahlen mitzugeben. Nachfolgend die Gedankennotizen aus der kurzen Ansprache. Work in progress.
Lokalwahlkampf ist simple Mathematik
Bei den Einwohnerratswahlen vor vier Jahren erzielte die SP Baden einen WählerInnenanteil von 18.9% und errang 9 Sitze. Das entsprach damals einer theoretischen Wähler_innenzahl* von ca. 800 Personen. Das heisst so 80-90 eingeworfene SP-Listen ergeben einen Sitz. Im Oktober 2016 erzielte die Stadtpartei bei den kantonalen Grossratswahlen einen lokalen Wähler_innenanteil von 26.7%. Die theoretische WählerInnenzahl lag bei ca. 1200 Personen. Was ist nun guter lokaler Wahlkampf? Ganz einfach: Die 400 Personen, die 2016 SP wählten, aber nicht 2013, im Herbst 2017 an die Urnen zu bringen.
(Proporz-)Wahlkampf heisst, das eigene Potential nutzen
In einer Stadt in der Grössenordnung von Baden (ca. 20’000 EinwohnerInnen), ist der Wahlkampf eine persönliche Angelegenheit. Pro Sitz muss von den ca. 30 Kandidierenden pro Liste jeder und jede nur 2 bis 3 Personen zusätzlich überzeugen, die SP Liste einzuwerfen. In solchen Konstellationen muss man sich sehr gut überlegen, ob sich die nächsten 500 Franken für ein weiteres APG Plakat wirklich lohnen – oder ob man die Zeit, die für Planung, Bestellung und Koordination drauf gehen nicht besser nutzt, kurz bei den Nachbarn vorbei zu gehen und zu fragen, ob sie schon SP gewählt haben (Kleiner Tipp: Es ist zweiteres).
Im Wahlkampf überzeugt man nicht die SVP
Oft gehen Lokalparteien in Wahlkämpfen von der Idee aus, es gehe darum, möglichst viele CVP, FDP und SVP-WählerInnen von der SP zu überzeugen. Das ist – im heissen Wahlkampf – verlorene Liebesmühe. Es ist absolut richtig, dass wir zwischen den Wahlkämpfen alle Menschen ansprechen wollen. Aber in den letzten Wochen des Wahlkampfes geht es darum, all, jene, die sich vorstellen könnten SP zun wählen genau dazu zu bringen – und das sind in allen Umfragen konstant so 30-40%. Und diese Menschen befinden sich meist im Umfeld der Kandidierenden: Freunde, Familie, ArbeitskollegInnen, VereinskameradInnen, etc. Ihr würdet staunen, wie viele von denen bei den letzten Lokalwahlen nicht wählen gegangen sind. Fazit: Die Mobilisierung des persönlichen Umfelds der Kandidierenden ist insbesondere in kleinen Räumen mit tendenziell tiefer Wahlbeteiligung matchentscheidend. Genau hier setzt übrigens das inzwischen viel diskutierte Konzept der SP-Basiskampagne an.
Wahlkampf heisst die Leute zu stören, nicht sie in Ruhe zu lassen
Eines der gefährlichsten Phänomene unserer Zeit ist die Politikabstinenz. Die Parteien leisten ihr teilweise Vorschub. Einerseits in dem sie ihre Kampagnenapparate professionalisieren anstatt auf die Mitglieder zu setzen und andererseits durch vornehme Zurückhaltung. Politik gehört nicht an den Rand des Biomarktes, sondern mitten ins Leben. Dort, wo sich die Menschen treffen (was wiederum auch der Biomarkt sein kann). Ob am Dorffest oder in der Umkleidekabine nach dem Turnabend. Wer glaubt, sich der – manchmal unangenehmen – 1:1-Konfrontation durch Inserate und Plakate entledigen zu können, irrt. Es ist in der Politik wie im Fussball: Gewinnen kann nur das Team, welches die Zweikämpfe sucht, nicht sie vermeidet.
Lokale Wahlkämpfe finden nicht in Mikrobiotopen statt
Wie oft höre ich, dass bei uns in Dingsbumsingen eben alles ein bisschen anders läuft als in der Restschweiz. Die Vorstellung der Lokalpolitik als Mikrobiotop hat allerdings zunehmend ausgedient. Menschen wählen auch lokale di SP zwar auch, aber nicht nur wegen der Tempo 30 Zone. Sondern genauso wegen der Europapolitik oder dem Rechtsrutsch. Es geht darum im Wahlkampf auch nicht einfach darum, jedem und jeder seine drei Punkte für die Zukunft des Dorfes oder der Stadt möglichst rasch und laut aufs Auge zu drücken, sondern vor allem auch ums zuhören. Die Menschen wissen in aller Regel sehr gut, was sie warum stört. Wahlen werden nicht mit kreativen Sprüchen gewonnen, sondern mit Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Und Vertrauen, das wissen wir aus dem Leben alle, baut man im direkten Gespräch auf – nicht über Facebook-Werbung. Generell gilt: Das persönliche Gespräch ist besser als das Telefon ist besser als SMS ist besser als eMail/Social Media.
Im Wahlkampf geht es nicht darum, allen zu gefallen, sondern politisch lesbar zu sein
Die Pflicht zuzuhören sollte nicht missverstanden werden als Zwang, immer mit allen einverstanden zu sein und keine scharfen Positionen zu vertreten. Im Gegenteil. Vor allem Proporzwahlen werden nicht gewonnen, wenn man genauso gut eine andere Partei wählen kann. Sondern dann, wenn die eigene Position klar, verständlich und lesbar kommuniziert wird. Wenn klar wird, warum eben die Stimme an die SP einen Unterschied macht. Lieber einen verständlichen, klaren Wahlslogan mit Inhalt („Mehr bezahlbaren Wohnraum“) als drei kreative, inhaltsleere („jung, dynamisch, vorwärts“).
*Die theoretische Wähler_innenzahl erhält man, in dem alle Parteistimmen durch die Sitze im Parlament (=Anzahl Linien auf der Liste) geteilt werden. Die Zahl gibt also an, viele unveränderte Listen zu diesem Ergebnis geführt hätten. Die Zahl hilft um die Grössenordnungen abzuschätzen.