Kurz notiert: Vorschlag der SP-Geschäftsleitung zur Unternehmenssteuerrefom III 2.0 verpasst grosse Chance

 

Die Geschäftsleitung der SP Schweiz hat vor wenigen Tagen ihren Vorschlag zur Neuauflage der Unternehmenssteuerreform III präsentiert. In einer Logik, die im engen (bürgerlichen) Sinn der Reform bleibt, ist der Vorschlag durchaus kohärent – und ein unbestreitbarer Fortschritt gegenüber der am 12. Februar an der Urne versenkten Variante. Ganz grundsätzlich aber enttäuscht der Vorschlag aus zwei übergeordneten Gründen.

Ein Nein zur neoliberalen Wirtschaftsordnung

Erstens unterschätzt er die Tragweite des Votum des Nein-Lagers vom 12. Februar gegen die neoliberale (nein, nicht gegen jede) Weltmarktintegration. Die Voto-Umfrage zur Abstimmung unterstreicht, wie deutlich das Nein auch ein Nein zum aktuellen Wirtschaftssystem war. Über die Hälfte (51%) der Nein Stimmenden stimmt der Aussage nicht zu, wonach „die Steuereinnahmen von internationalen Unternehmen eine wichtige Einnahmequelle des Staates“ sind und „die Reform gewährleistet, dass die Unternehmen in der Schweiz bleiben.“ Sogar 52% der Nein-Stimmenden lehnen die Aussage ab, das die „Reform nötig“ sei „damit die Schweiz international wettbewerbsfähig“ bleibe. Noch vor wenigen Jahren wären diese Antworten hierzulande undenkbar gewesen. Der Steuerstandortwettbewerb und die Transformation der Schweiz in ein „Alpenmonaco“ waren unbestrittene Bestandteile der nationalen Identität und Kritik daran galt praktisch als Landesverrat. In einer internen Notiz kurz nach der Abstimmung schrieb ich bereits: „Dieses Resultat ist eine Ohrfeige an die neoliberale Politik der Rechten. Und als das sollte man sie auch ernst nehmen. In diesem Nein verbirgt sich ein deutlicher Umschwung der öffentlichen Haltung. Ein Vertrauensverlust in das ‚Modell Schweiz’, der deutlich tiefer geht, als nur bis zur konkreten Vorlage. Es ist ein Nein zum Wirtschaftsmodell einer Schweiz am Tropf der multinationalen Konzerne. Einem Modell, das seit Jahren nur noch auf die Anziehung des internationalen Kapitals und seiner Headquarters abzielt – und gleichzeitig KMU, Beschäftigte und Bevölkerung zunehmend rechts liegen lässt und dem Service public die Substanz entzieht. Es war ein klares Nein der Bevölkerung, immer nur als störender Kostenfaktor wahrgenommen zu werden.“

Der Vorschlag verpasst die Chance, das Land aus der selbstverschuldeten Abhängigkeit von übermobilen, internationalen Unternehmen zu befreien. Diese ist für die Demokratie brandgefährlich: Je mehr der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben auf dieses Modell abstützt, desto einfacher werden ganze Gesellschaften erpressbar. Es reicht dann mit der Verlagerung des Unternehmenssitzes zu drohen. Unternehmen, die hier forschen und arbeiten, sollen das mit langfristigen Strategien auf Grund der exzellenten Infrastruktur tun – nicht wegen tiefer Steuern. Schaffen wir das nicht, wird die Demokratie in wenigen Jahren wieder von Erpressungsversuchen aus den Chefetagen heimgesucht. Übermässig von Gesellschaften mit Sonderstati betroffene Kantone können gut vom Bund substantiell unterstützt werden, aber nur dann, wenn dieses in eine Umbaustrategie investiert wird. Also eine Wirtschaftspolitik, die darauf ausgerichtet ist vom Tropf des übermobilen Kapitals weg zu kommen hin zu einer echten Förderung solidarischer, nachhaltiger, demokratischer Wirtschaftsprozesse. Dabei dürfte es in der Welt Post-2008 keine „ordnungspolitischen“ Tabus mehr geben: Strategische, staatliche Investitionen in wichtige Standortindustrien müssen wieder denkbar sein. Die Chance, die Frage nach dem Wirtschaftsmodell Schweiz zu stellen, kommt so schnell nicht wieder.

 

Echter Skandal bleibt der blinde Fleck: Die neokoloniale Ausbeutung

Zweitens übersieht der Vorschlag nach wie vor den eigentlichen Skandal, der sich bereits hinter dem Status quo der schweizerischen Steuerpolitik mit oder ohne Unternehmenssteuerform III verbirgt. Richtigerweise fordert der Vorschlag der Geschäftsleitung eine materielle Teilharmonisierung der kantonalen Unternehmensbesteuerung, also eine Eindämmung des interkantonalen Steuerwettbewerbs. Dabei geht aber die skandalöse Rolle der Schweiz im internationalen Steuerstandortwettbewerb vergessen. Alleine bei den Unternehmenssteuern führt sie heute schon dazu, dass andern Ländern Steuereinnahmen bis zu 36 Mia. Franken jährlich entgehen. Steuerwüsten wie die Schweiz sind ein zentraler Faktor für die Ungleichgewichte innerhalb Europas (Stichwort Griechenland), aber auch wenn es um die Stabilisierung neokolonialer Ausbeutung geht. Genau darauf beruht die Strategie der Schweiz, z.B. im Rohstoffsektor. Die industrialisierte Welt lebt davon, dass sie die so genannten „peripheren“ Weltregionen durch den Abbau billiger Rohstoffe zu tiefen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen ausbeutet – oder wer dachten Sie, trägt die Folgen des Preisdrucks z.B. bei Computern und elektronischen Geräten: Der Minenarbeiter in Ghana oder das Management von Apple? Der Kapitalismus lebt davon – und hat übrigens immer davon gelebt – dass ein Teil der Kapitalrendite durch die Ausbeutung der Kolonien erwirtschaftet wird. Diese Verhältnisse sind mit dem Ende der formellen Kolonien nicht verschwunden, wir nennen es jetzt einfach „Globalisierung“ (versteht mich nicht falsch, ich bin nicht gegen Globalisierung an sich. Das kann ganz toll sein. Aber gegen eine Globalisierung, die immer mehr Reichtum im globalen Norden zu Lasten anderer konzentriert). Fakt ist: Auch heute finanziert der globale Süden den globalen Norden – nicht umgekehrt, wie wir immer das Gefühl haben (Alliance Sud hat das zum Beispiel hier nachgerechnet). Mit ihrer Steuerdumpingstrategie trägt die Schweiz seit Jahren zu diesen globalen Herrschaftsverhältnissen bei. Die Folge sind u.a. die zunehmende, unfreiwillige Elendsmigration. Es ist darum zu kurzsichtig, als Ziel einer Neuauflage der verkorksten Reform eine möglichst kleine Abweichung vom Status quo anzuvisieren. Sie muss deutlich darüber Hinaus gehen, der Status quo IST bereits ein Skandal.

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