Liebe Genossinnen und Genossen,
die Genossen Litscher-Graf, Ruiz und Jositsch haben jetzt wiederholt darauf hingewiesen, dass wir es dank der guten Arbeit unserer Fraktion geschafft hätten das Kontrollverfahren für die neuen Instrumente des Nachrichtendienstgesetzes deutlich zu verbessern. Das stimmt selbstverständlich, daran gibt es gar keinen Zweifel. Nur ist das nicht der Punkt.
Vielmehr ist das Problem grundsätzlicher. Stellt euch vor, ihr seid Mitglied dieser Aufsichtsbehörde oder Bundesrat und müsst dann einen abschliessend Entscheid über eine Telefonüberwachung oder den Einsatz von Staatstrojanern fällen. Und der Geheimdienst kommt zu euch und sagt: „Hier haben wir einen Fall eines potentiellen Terroristen. Es könnte sein, dass Menschenleben in der Schweiz auf dem Spiel stehen.“ Wer von uns würde dann allen ernstes Nein sagen? Wer könnte diese Informationen des Geheimdienstes überprüfen? Niemand, Genossinnen und Genossen. Darum heisst es ja „Geheim“-Dienst. Jede Kontrolle ist dazu verdammt, eine Scheinkontrolle zu sein. Der NSA-Skandal beweist dies ja wohl zur Genüge.
Und dann müssen wir uns schon der politschen Ökonomie der Gemeindienstarbeit etwas bewusst sein. Geheimdienste leben in einer Welt in der Informationen die primäre Währung darstellen. Es wird der Tag kommen, an dem der Schweizer Geheimdienst beispielsweise von den Russen eine Information über den Terroristen XY haben will. Die Russen könnten sagen: „Ja, sicher können wir euch diese Information liefern. Aber da war doch vor zwei Monaten dieser Schweizer Greenpeace-Aktivist der in der Beringsee eine unserer Öl-Plattformen blockiert hat. Können ihr uns da nicht ein paar Telefonmitschnitte liefern?“. Was dann, liebe Genossinnen und Genossen? Plötzlich stehen genau wir alle im Fokus. Wer jetzt glaubt, es wären nicht die Linken, die als erste ins Visier des Geheimdienstes geraten wurden, ist bestenfalls naiv. Der oder die sollte dringend ein Buch über die jüngere Geschichte dieses Landes zur Hand nehmen oder sich einfach fragen, warum ausgerechnet Amnesty International das Referendum unterstützt.
Jetzt wird viel mit den Anschläge von Paris argumentiert. Nun, die Diskussion ob ein Gesetz wie das NDG solche Anschläge in der Schweiz verhindert hätte ist überflüssig. Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen ist, dass die Terroristen den französischen Geheimdiensten bekannt waren und, dass die Anschäge trotzdem stattfanden. Und was wir vor allem wissen ist, dass die Anschläge Anschläge waren auf die Demokratie und die inviduellen und kollektiven Freiheiten in unserer Gesellschaft. Es wäre geradezu absurd, auf diesen Angriff auf die Freiheit zu reagieren, indem wir genau die Freiheit, die die Terroristen so hassen, selber beschneiden würden. Das wäre der Strategie des Terrors und der Rechtsextremen auf den Leim gegangen. Sie wollen, dass wir zu einer Gesellschaft des Misstrauens und der Angst werden.
Genossinnen und Genossen, Terror bekämpft man nicht mit Abschreckung. Freiheit verteidigt man nicht durch den Polizeistaat. Terror bekämpft man und Freiheit verteidigt man durch weniger imperialistische Kriege des Westens im Osten, durch weniger Kriege um Öl und Ressourcen, durch weniger Kriegsmaterialexporte an Kriegsfürsten und Menschenschlächter, durch weniger ökonomische Ausbeutung. Und durch eine Gesellschaft die hierzulande allen Perspektiven, Chancen und Hoffnung bietet, durch Toleranz, Offenheit und Demokratie. Kurz: Freiheit wird mit und durch mehr Freiheit verteidigt, nicht durch weniger, nicht durch Angst, nicht durch Abschreckung, nicht durch Polizeistaat.
Die SP Schweiz debattierte an ihrer Delegiertenversammlung in St. Gallen am 5. Dezember 2015 über die Unterstützung des Referendums gegen das Nachrichtendienstgesetz. Den Redner_innen an der Delegiertenversammlung standen nur drei Minuten zur Verfügung. In drei Minuten kann man nicht alle Argumente aufzählen, ein ausführlicheres Argumentarium folgt deshalb in Kürze auf dieser Website. Dieser Kurztext ist die Abschrift einer frei gehaltenen Rede. Die Delegiertenversammlung beschloss schlussendlich mit 106: 62 Stimmen das Referendum zu unterstützen.