Spätestens seit dem #SchweizerAufschrei darf man offenbar hierzulande wieder über Feminismus und Geschlechterdiskriminierung sprechen, ohne gleich als vorgestrig abgestempelt zu werden (die rechten Sektenblätter jetzt mal ausgenommen). Aber offenbar ist der Lernweg noch lange. Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern beruht selbstverständlich zu einem grossen Teil auf strukturellen Diskriminierungen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Das lösen wir nicht mit etwas „Willen“ und wenn wir etwas netter sind zueinander. Trotzdem gibt es natürlich enormen Spielraum in unserem individuellen Verhalten – gerade auf der Seite der Privilegierten (das wären dann Männer, vor allem weisse).
Gerade heute, habe ich mich wieder unsäglich geärgert. Über mich selber. Ich wurde zu Recht (wieder einmal) kritisiert. Kritisiert wegen der Teilnahme an einem Podium an der Universität Luzern über die „Selbstbestimmungs-Initiative“ der SVP (siehe Bild). Nicht wegen dem Inhalt des Podiums, sondern wegen der Zusammensetzung: Claudio Zanetti (Nationalrat SVP), Andrea Caroni (Ständerat FDP), Karl Vogler (Nationalrat CVP), Ulrich Schlüer (alt Nationalrat SVP) und meine Wenigkeit. Moderation: Stephan Weber, Bundeshausredaktor Radio SRF. Wem es nicht gleich auffällt: Es sind alles Männer.
Sprache und Bilder prägen unsere Vorstellungen von Gesellschaft und Zusammenleben. Und wenn Politik von Männern „gemacht wird“, bleibt das Bild einer Gesellschaft in der Männer das Sagen haben der Normalfall in unseren Köpfen. Das ist eine selbstverstärkende Spirale, die zu durchbrechen unsere gemeinsame Aufgabe ist. Ich habe deshalb heute einen für mich selber gültigen Grundsatzentscheid gefällt: Ich werde ab sofort zu keinen öffentlichen Diskussionen mit mehr als zwei Gästen mehr zusagen, wenn sie nur aus Männern zusammengesetzt sind. Ja, dazu gehören auch richtig, richtig grosse Diskussionen, wie die Arena (wobei sich gerade die Arena inzwischen wirklich Mühe gibt). Sei’s drum. Ich habe leider nicht die grosse Macht, die uns Parlamentariern immer wieder unterstellt wird. Aber diesen bescheidenen Einfluss habe ich, also sollte ich ihn auch nutzen.
Nein, das ist kein riesiges Opfer für das ich Applaus erwarte. Und ja, wer jetzt findet, das hätte mir auch schon früher einfallen sollen: Stimmt. Fällt mir relativ wenig zu meiner Verteidigung dazu ein. Ausser vielleicht, dass ich auch bisher jeweils darauf hingewiesen haben, aber a) zu wenig konsequent und b) immer zu spät. Aber hey, immerhin. Tatsache ist, dass ich mir einbilde, in diesem kleinen Bereich unserer gesellschaftlichen Realität – als junger, linker, männlicher Nationalrat, der relativ oft eingeladen wird – einen kleinen Einfluss habe. Und vielleicht ist dies auch nur Symbolpolitik. Natürlich, aber Politik besteht zu einem grossen Teil aus Symbolik. Symbole sind je nach dem sogar sehr starke Signale. Und es ist gerade auch die Pflicht von uns linken Politikern (diesmal ohne _innen), langsam auch Zeichen zu setzen, dass wir es ernst meinen mit der Gleichstellung. Und dieses Zeichen setzt sich aus vielen, vielen kleinen Signalen zusammen. Vielleicht sogar eher daraus, als aus grossen Worten. Das kann man jetzt lächerlich finden, bitte. Aber dann macht doch das anderswo als in meinen Kommentarspalten.
P.s.
Für alle, die jetzt wieder „dieser Beitrag ist jetzt wirklich überflüssig“ kommentieren wollen ein kleiner Tipp: Lest es doch einfach nicht oder tut so, als hättet ihr es nicht gelesen.
P.p.s.
Ja, es gibt noch zwei, drei Anlässe und Auftritte bei denen ich schon zugesagt habe. Und die muss ich noch machen. Und ja, auch mir werden wieder Fehler passieren, befürchte ich.
Update, 8.12.16: Erste Erfahrungen
Zu meiner Verblüffung gestaltet sich die Einhaltung dieser selbstauferlegten Regel schwieriger als gedacht. Ganz ehrlich, das P.p.s. war prophetisch: Es ist verblüffend, wie schnell ich selber wieder vergesse, daran zu denken. Ich musste bereits gemachte Zusagen im Nachhinein noch korrigieren, resp. ergänzen. Lektion I: Immer wieder von neuem sich selbst sensibilisieren.
Bei zwei, drei Auftritten wurden ausserdem zwischen der Einladung und dem Anlass die Gästeliste verändert (das geschieht im politischen Leben relativ oft und auch kurzfristig, meist aufgrund von Terminkollisionen). Und plötzlich stehst du wieder nur unter Männern. Ja, ist mir passiert. Offensichtlich fällt die genderpolitische Sensibilität vielen auch grossen Medienhäusern immer noch sehr schwierig, unter Zeitdruck noch schwieriger. Lektion II: Geschlechterausgewogene Auftritte nicht einfach als gesetzt betrachten, sondern die Forderung nach mind. einer Frau (das man das überhaupt sagen muss überrascht mich immer wieder) explizit formulieren. Werd’s mir merken.