Scheinheilige Bürgerliche und ihre Polemik gegen Sozialfälle

Die mediale Hetzjagd gegen vermeintliche Profiteure unsere Sozialstaats hat eine neue Qualität erreicht. Selbst Zeitungen, die sich eigentlich nicht als Boulevardblätter verstehen halten offenbar inzwischen für völlig normal und legitim mit Einzelfällen Stimmung gegen Asylsuchende und Sozialhilfempfänger_innen zu machen. Dabei spielen die Fakten überhaupt keine Rolle mehr, wie gerade im Sozialwesen ein Blick auf die effektive Entwicklung zeigt.

Langfristige Zunahme der Sozialfälle – weder Explosion noch Missbrauch

Tatsächlich hat die Zahl der von der Sozialhilfe unterstützten Personen in der Schweiz seit 1970 stark zugenommen: Waren es damals noch knapp 30’000 unterstützte Personen, sind es 2012 über 250’000[1]. Diese Zunahme erstreckt sich über eine Zeitperiode von über 40 Jahren – von einer Explosion der Sozialhilfezahlen kann also nicht die Rede sein. Tatsächlich ist die Situation relativ betrachtet stabil: Seit 2005 liegt die Sozialhilfequote – also die Anzahl von der Sozialhilfe abhängiger Personen an der gesamten Bevölkerung – im Kanton Aargau konstant zwischen 1.9 und 2% (CH: 3%). Entgegen der medialen Hetze ist der Anteil missbräuchlich bezogener Leistungen sehr klein: Gerade mal zwischen 1.7 und 4%, wie eine Studie des linken Thin Tank Denknetz zeigt[2]. Das sind genau die gleichen Zahlen, von denen zum Beispiel auch die Privatversicherer ausgehen.

Scheinheilige Bürgerliche

Richtig ist auch, dass die Kosten immer stärker in der Sozialhilfe bei den Gemeinden anfallen. Das hat eine Reihe von Gründen. Zuerst einmal hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt seit 1970 drastisch verändert. Seit dem Ende der Hochkonjunktur erachten es die Unternehmen offenbar immer weniger für nötig auch Personen zu beschäftigen, die vielleicht nicht zu 100% leistungsfähig sein. Sie fallen aus dem Arbeitsprozess. Als Folge davon sind im Laufe der 1990er Jahre die Kosten der Invalidenversicherung stark angestiegen. Anstatt aber das Problem der Verantwortungslosigkeit der Wirtschaft anzugehen, hat die bürgerliche Mehrheit mit drastischen Kürzungsmassnahmen bei der IV reagiert. Die Folge: Immer mehr Menschen sind zu krank zum arbeiten, aber zu gesund für eine IV-Rente. Diese Beziehung sieht mit eindrücklich auf Abbildung 1: Die Zunahme der Sozialhilfekosten folgt praktisch umgehend auf den Leistungsabbau bei der IV.

Eine echte Politik zu Gunsten der von Armut Betroffenen würde also nicht einfach das Netz der sozialen Sicherheit zu Lasten der Gemeinden weiter aufweichen, sondern diese Leistungen besser und kantonal koordinieren.

 

Fussnoten

[1] Bundesamt für Statistik (2013): Wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung.

[2]Denknetz (2014): Heraus aus der Sackgasse!

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