SP-Wirtschaftspapier: Ein Auftakt, der… naja… überrascht

Mit einem Sondernewsletter (eSPress vom 23.2.17) hat die Zentrale der SP Schweiz Ende letzter Woche den Auftakt zur Diskussion um ein neues, umfassendes Wirtschaftspapier lanciert. Unbeachtet mal der Frage, ob das nun die sinnvollste aller möglichen Beschäftigungstherapien ist oder nicht, überrascht der Auftakt. Zwar setzen Corrado Pardini (zu den Forderungen der Gewerkschaftsbewegung) und Mattea Meyer (zur Frage warum TINA kein sozialdemokratischer Horizont sein kann) aus ihrer jeweiligen Perspektive wichtige Kontrapunkte. Es fallen allerdings weniger die Aussagen der einzelnen Artikel auf als das, was fehlt.

Zu Beginn einer sozialdemokratischen Wirtschaftsdebatte müsste irgendwie die Frage aufgeworfen (und geklärt) werden, was denn als sozialdemokratische politische Ökonomie verstanden werden kann. Im Unterschied zu den abstrakten Kategorien der Mainstreamökonomie (Markt, Konkurrenz, Angebot, Nachfrage) denkt eine sozialdemokratische (linke) politische Ökonomie „Wirtschaft“ konsequent von den konkreten, sozialen Kämpfen um Macht, Herrschaft und Ausbeutung her. Die sozialdemokratische Wirtschaftstheorie entsteht dort, wo sich Menschen gegen ihr Schicksal wehren. Dort wo sich Menschen, auch gegen Widerstand, für mehr Gerechtigkeit und ein besseres Leben einsetzen. Nein, das ist nicht neu. Es ist aber, wenn der Horizont nicht an der eigenen, privilegierten Wohlfühlblase enden soll, aktuell wie lange nicht mehr.

Die Sprache, die man verwendet ist entscheidend dafür, ob man diesen Unterschied einfangen kann. Die Sprache und ihre Begriffe bestimmen die Möglichkeiten meiner Analyse, und umgekehrt. Das habe ich zum Beispiel vor und nach der Kampagne um die USRIII an der Verwendung des Begriffs des „Mittelstandes“ intern und extern kritisiert. Sprechen wir über Wirtschaft nicht mehr in den Begriffen, die in der Lage sind, soziale Kämpfe zu erfassen – also zum Beispiel die Klasse – dann rutschen sie aus dem Blickfeld. Dann fallen Nicht-Mittelstandsprobleme raus, weil sie sich gar nicht mehr formulieren lassen. Und siehe da: In keinem der Artikel – zum Auftakt einer SP-Serie zum neuen Wirtschaftsprogramm! – kommt der Begriff der „Care-Arbeit“ auch nur einmal vor, kein Artikel erwähnt die 800’000 ökonomisch prekarisierten von Working Poor bis Sozialhilfeempfänger_innen, kein Artikel erwähnt die Entrechteten im modernen Kapitalismus im globalen Süden oder die Sans Papiers hier bei uns. Die Brennpunkte der Arbeitswelt, dort wo sich Ausbeutung (böses Wort) an den Machtverhältnissen entlang Rasse, Klasse und Gender brechen, fallen raus.

Bilden die sozialen Kämpfe den Ausgangspunkt sozialdemokratischer Politik wäre es zum Beispiel auch völlig unmöglich, diesen Auftakt ohne Einordnung der Schweizerischen Verhältnisse in den globalen Kontext zu machen. Rasse, Klasse oder Gender kennt keine nationalen Grenzen. Der „Mittelstand“ zum Beispiel schon. Sein Horizont meint immer die Nationalökonomie – und ein bisschen Entwicklungshilfe, wenns gut kommt. Ein sozialdemokratisches Wirtschaftskonzept, kann im 21. Jahrhundert kann aber Markt, Staat, Arbeiter_innenbewegung oder auch Digitalisierung nicht im Ernst ohne Bewusstsein dafür denken, dass wir im Herzen des globalen Finanz- und Rohstoffkapitalismus leben. Aus und mit der Schweiz wird ein globales Regime alimentiert, dass ganz wesentlich davon lebt, die Ausbeutungsdividende aus dem globalen Süden in den globalen Norden umzuverteilen. Die globalen Ungleichheiten explodieren, eine Folge von sind die brandaktuellen Migrationskrisen – die eben, richtig verstanden, vielmehr Krisen eines globalen Produktions- und Herrschaftsregimes im Kapitalismus sind, als eine Krise „der Migranten“. Dieses kolonialistische Hier und Jetzt unseres Wohlstandes gehört in den Kern jeder sozialdemokratischen Auseinandersetzung mit „Wirtschaft“ (auch das ein unmöglicher Begriff, aber dazu komme ich jetzt nicht mehr).

Tatsächlich hat die SP Schweiz Ende letzten Jahres in sehr vorbildlicher Art und Weise mit dem Papier zur Wirtschaftsdemokratie versucht, an einer eigenen Alternative zu arbeiten. Es ist zu hoffen, dass das umfassendere Papier hier anschliesst. Nun denn, es steht mal wieder an die Welt vom Kopf wieder auf die Füsse zu stellen. Wir werden sehen.

Einer
für alle

Weil es hier um uns alle geht. Mach mit!

Durch das Eingeben erklärst du dich damit einverstanden, dass Cédric Wermuth und die SP dich auf dem Laufenden halten dürfen. Mehr erfährst du hier.