Merci Monsieur le Président,
sehr geehrte Frau Bundesrätin, geschätzte Damen und Herren,
Der berühmte liberale Vordenker der repräsentativen Demokratie, der Franzose Alexis de Tocqueville, sagte, die Demokratie hätte „pour l’égalité une passion ardente, insatiable, éternelle, invincible“. Die Gleichheit, die Tocqueville dazumal eben noch als echter Liberaler meinte, war selbstverständlich nicht einfach nur die Gleichheit vor dem Recht, sondern eine Angleichung der Lebensumstände der Menschen; diese erhoffte er sich mit der Demokratie. Tocqueville und die echten liberalen wären erschüttert, wenn sie die Situation betrachten würden, die sich heute in unserem Land bezüglich der Vermögensungleichheit zeigt.
Sie haben die Zahlen vorher gehört, Sie können die Statistik Ihrer Wahl nehmen, jene der Bilanz, der Crédit Suisse, der UBS oder die UN-Statistiken: Die Schweiz hat weltweit eine der höchsten Vermögensungleichheiten. Aber das wäre wahrscheinlich nicht einmal der grösste Stein des Anstosses für die alten Liberalen oder für Alexis de Tocqueville. Das Schlimme an der Geschichte, das Skandalöse, das, was jeden Liberalen eigentlich im tiefsten Herzen erschüttern muss, ist, dass heute der grosse Teil der Vermögen und vor allem der Zuwächse mit Leistung oder mit Arbeit oder überhaupt mit volkswirtschaftlicher Sinnhaftigkeit nicht mehr zu erklären sind. Allein die 300 Reichsten – nehmen Sie die Liste der Bilanz, sie ist nicht gerade im Verdacht, ein linksextremes Revolverblatt zu sein – haben in den letzten acht Jahren ihre Vermögen um 30 Prozent auf 590 Milliarden Franken Reinvermögen gesteigert. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund rechnet vor, dass die 0,1 Prozent Topverdienerinnen in diesem Land jeden Tag alleine als Einkommen aus Vermögensbeständen 6900 Franken verdienen. Das ist das, was die Erbschaftssteuer tatsächlich angeht, die Ungleichheit der bestehenden Vermögen, nicht einmal unbedingt die Ungleichheit beim Erben.
Wenn Sie diese Statistik der Bilanz über die 300 Reichsten nehmen, dann sehen Sie auch, welches Ausmass die Vermögensungleichheit über die ganze Schweiz erreicht hat. Schon nur um das durchschnittliche Vermögen gemäss dieser Statistik von 2 Milliarden Franken zu erreichen, müsste eine Median-Verdienerin oder ein Median-Verdiener in der Schweiz ohne jemals einen einzigen Franken ausgegeben zu haben ungefähr 30 000 Jahre vor Christus mit Arbeiten angefangen haben, also etwa dann, als der Homo Sapiens das Licht der Welt zum ersten Mal erblickt. Diese Ungleichheit ist eben nicht nur ökonomisch höchst ineffizient, weil sie Vermögen falsch alloziert – was schlussendlich zu einer Überkonzentration führt und damit die Grundlage für weitere Spekulationen und Finanzkrisen bildet -, sondern sie ist vor allem, das wäre die Botschaft an die Mitteparteien, politisch extrem gefährlich.
De Tocqueville wusste, wie alle richtigen Liberalen, dass zu einer Demokratie liberaler Couleur eben auch zumindest ein Minimalmass an Ressourcengleichheit gehört. Ist das nicht gewährleistet, geht das Prinzip der Gleichheit vor dem Staate und der Stimme verloren. Die ökonomische Ungleichheit wird zur politischen Macht, das Kaufen von politischen Entscheiden oder das Finanzieren von Parteien ist nur die offensichtlichste Folge. Die direktere Folge haben wir vor zwei Wochen erlebt. Es ist die Drohung von ein paar Wenigen, von Unternehmen, die nur dank der Konzentration der Vermögen, die sie kontrollieren, behaupten können, dass schon nur die geringste Anwendung eines Gleichheitsprinzips gegen ihre Privilegien sie dazu veranlassen würde, unser Land zu verlassen, Arbeitsplätze zu gefährden und das Land in die Krise zu stürzen.
Es gibt zwei Arten, auf die die Menschen auf diese politische Ohnmacht, auf diese politische Erpressung reagieren können. Die erste Antwort, und die ist noch die angenehmere, ist die politische Abstinenz. Die zweite Antwort ist die: Wenn man einem sagt, gegen oben dürfe man sich nicht mehr wehren, man müsse die soziale Frage anders klären, dann kommt das Treten gegen unten in den Blick. Dann sind plötzlich die Gefährlichen jene, die mir von unten vor der Sonne stehen könnten: Scheininvalide, Migranten, Ausländer oder welche Randgruppen einem dann eben einfallen. Die politische Folge der Ungleichheit in diesem Land sind demokratische Tobsuchtsanfälle, wie wir sie am 9. Februar erlebt haben. Wer das nicht mehr erleben will in diesem Land, muss etwas gegen die Ungleichheit tun. Ein erster Schritt ist die Annahme der Erbschaftssteuer. Ich bitte Sie, diesem Minderheitsantrag zu folgen.
Büchel, Rino (SVP St. Gallen): Geschätzter Kollege Wermuth, ich denke, Ihre Salve hätte mehr verdient als einen kleinen Applaus von Kollegen und neun Zuschauern auf der Tribüne. Ich möchte eine Frage stellen: Eigentlich geht es ja um die Erbschaftssteuer, aber Sie haben jetzt eher davon gesprochen, dass man das Geld schon den Lebenden wegnehmen sollte. Wie stellen Sie sich das vor?
Wermuth, Cédric: Ich finde Ihre Ausdrucksweise, geschätzter Kollege – den Leuten das Geld wegnehmen -, etwas überraschend. Denn Steuern sind ja insbesondere ein legitimer Return on Investment für Vorleistungen einer Gesellschaft. Das hat mit Bezahlen zu tun, nicht mit Wegnehmen.
Ich bedanke mich aber für die Frage, weil sie, wie ich finde, den zentralen Punkt anspricht. Ich bin mit Ihnen völlig einverstanden: Die Erbschaftssteuer ist eine absolute Second-best-Variante. Persönlich bin ich kein grosser Fan davon, über die Bürokratie die Ungleichheit steuern zu müssen. Viel lieber würde ich an der Primärverteilung direkt ansetzen. Das haben wir vorgeschlagen – beispielsweise mit der 1:12-Initiative; das versuchen wir mit Gesamtarbeitsverträgen und gewerkschaftlicher Arbeit zu machen. Da das leider nicht ausreicht, müssen wir über die Erbschaftssteuer korrigieren. Wenn Sie mir beim anderen helfen, dann ziehen wir die Initiative selbstverständlich zurück.
Sitzung des Nationalrates vom 9.12.14. Die offizielle Fassung kann online im Amtlichen Bulletin abgerufen werden.