Der UN-Migrationspakt: Richtig, aber kein Grund zum Jubeln

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates hat heute beschlossen dem Bundesrat zu empfehlen, den UN-Migrationspakt (Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration) nicht zu unterzeichnen. Das ist das Resultat einer beispiellos absurden Kampagne der extremen Rechten – und ihrer leider willfährigen Helfer*innen in der ehemaligen Mitte.

Dass es die SVP geschafft hat, aus der harmlosen Unterzeichnung des GCM ein titelseitenbestimmendes Thema zu machen, ist eine Leistung, die man irgendwo fast würdigen muss. Zum ersten Mal breiter öffentlich diskutiert wurde das Vertragswerk in einem orchestrierten Kampagneinterview der BaZ mit Hans-Ueli Vogt. Die „Journalistin“, die das Interview gemacht hat, wurde gestern als neue Mitarbeiterin der SVP vorgestellt – das Interview dürfte dem Bewerbungsverfahren nicht geschadet haben… In dem Propagagandastück darf Vogt ungestraft seine Unwahrheiten verbreiten. Der Pakt wolle die „weltweite Niederlassungsfreiheit“, „globale Freizügigkeit“ und die Ausdehnung des Familiennachzugs behauptet er zum Beispiel. Entweder er hat das Dokument nicht gelesen, oder er lügt. Nichts davon stimmt (die „Journalistin“ hat sich offensichtlich angesichts der Jobwechsels auch geich den Aufwand der Recherche erspart). Der Pakt hält wörtlich die Souveränität der Nationalstaaten fest:

 

„15 c) Nationale Souveränität.

Der Globale Pakt bekräftigt das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen, sowie ich r Vorrecht, die Migration innerhalb ihres Hoheitsbereichs in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu regeln. Innerhalb ihres Hoheitsbereichs dürfen die Staaten zwischen regulärem und irregulärem Migrationsstatus unterscheiden, einschliesslich bei der

Festlegung ihrer gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen zur Umsetzung des Globalen Paktes unter Berücksichtigung der verschiedenen nationalen Realitäten, Politiken, Prioritäten und Bestimmungen für Einreise, Aufenthalt und  Arbeit und im Einklang mit dem Völkerrecht.“ (Seite 4 der deutschen Übersetzung).

 

Das gleiche gilt für den Familiennachzug. Der ist zwar tatsächlich sehr restriktiv geregelt in der Schweiz, es besteht jedoch bestätigterweise kein Handlungsbedarf der Schweiz durch den Pakt, er definiert die Familie nicht. Genauso Fake-News ist übrigens die Behauptung, der Pakt verlange eine Einschränkung der Medienfreiheit oder eine positive Berichterstattung zu Migration, wie es dieses himmelschreiende Interview mit einem offensichtlich von seiner eigenen Uninformiertheit komplett unbeeindruckten Politologen behauptet. Tatsächlich hält der Pakt lediglich fest, dass die Staaten eine “ unabhängige, objektive und hochwertige Berichterstattung“ fördern sollen, das Medienschaffende über Migrationspolitik informiert, dass die Berichterstattung ethische Standards respektieren soll und, dass – und hier liegt der Stein des Anstosses – „öffentliche die Finanzierung von Medien“ eingestellt werden soll, die „systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern.“ Tatsächlich ist gerade letzteres geltendes Schweizer Recht. Artikel 261bis des Strafgesetzbuches stellt Rassismus unter Strafe. Wer also will, dass der Staat in Zukunft Medien fördert, die „systematischen Rassismus“ betreiben, will entweder die Rassismus-Strafnorm streichen oder fordert die öffentliche Unterstützung von Kriminellen.

 

Zwar richtig, aber kein Grund zum Jubeln

Wenn allerdings die Dämonisierung des Pakets durch die SVP keine Grundlage hat, dann hat sie aber die Hochjubelung von Links auch nicht. Richtig ist, dass der Pakt insofern ein erster Schritt zur Einschränkung der lebensgefährlichen Migration sein kann, weil erstmals alle Staaten gemeinsam Handlungsbedarf anerkennen. Der Pakt will in einigen Fragen in die richtige Richtung (sichere Fluchtwege, Rettung von Leben, Verhinderung von Menschenhandel, Massnahmen gegen Diskriminierung). Das wars dann aber auch schon. Tatsächlich nämlich ist der Pakt – abgesehen davon, dass er nicht verbindlich ist – kein Sieg für die „Zivilgesellschaft“, die von unfreiwilliger Migration oder Flucht betroffenen Menschen oder gar die Linke. Im Gegenteil. Er markiert vielmehr die Durchsetzung des Paradigmas des „Migrationsmanagements“ und damit der Interessen des reichen Nordens gegen den globalen Süden.

Dazu muss man wissen, dass es bereits eine UN-Konvention zur Migration gibt. Sie trägt den vollen Titel „Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen“ und trat 2003 nach der Unterzeichnung durch 51 Staaten in Kraft. Jetzt rate der geneigte Leser oder die geneigte Leserin kurz, wieviele Industriestaaten (oder von mir aus der 1. Welt) die Konvention unterschrieben haben? Kein einziger. Warum? Nun, kurz zusammengefasst: Weil sich die Entwicklungsländer in der Konvention erfrecht hatten, für ihre migrierten Staatsangehörigen in Sachen Menschen-, Sozial- und Arbeitsrechte den gleichen Standard einzufordern, wie er für Bürgerinnen und Bürger der Länder des reichen Nordens gilt. Eine Freichheit selbstverständlich. Wo kämen wir denn da hin, wenn die Wertegemeinschaft des Westens nicht mal mehr ihre Arbeitskräfte aus dem Ausland ausbeuten dürfte (wers genau nachlesen will, der oder die informiere sich bitte hier)?

Zweitens klammert der Pakt, trotz eines Zieles 2 unter dem Titel “ Minimierung nachteiliger Triebkräfte und struktureller Faktoren, die Menschen dazu bewegen, ihre Herkunftsländer zu verlassen“, die Gründe für unfreiwillige Migration und die diesbezügliche Verantwortung des Nordens und seiner Politik- und Wirtschaftslogik weitgehend aus aus: Kein Wort drüber, dass noch immer der globale Süden den globalen Norden finanziert, weil wir von der systematischen Ausbeutung dieser Länder, ihren Diktatorengeldern und der Zerstörung ihrer Steuersubstrate leben. Kein Wort über die Verantwortung unserer Konzerne, z.B. der Rohstoffbranche, für die Zerstörung der Lebensgrundlagen. Kein Wort über das Land- und Wassergrabbing und die Verdrängung der Menschen von ihrem Land. Kein Wort über koloniale Reparationen. Kein Wort über die Flucht als Folge der imperialistischen Kriege und Kriegsmaterialexporte an Diktatoren und Menschenschlächter. Kein Wort für die praktisch ausschliessliche Verantwortung der reichen Ländern für den Klimawandel (genauer, ihrer kapitalistischen Ressourcenverschwendung). Kein Wort über eine internationale Handelspolitik, die systematisch den globalen Süden in der Abhängigkeit und Unterentwicklung hält, z.B. durch Exportsubventionen für die Landwirtschaft die lokale Märkte zerstören. Kein Wort über die Schuldenknechtschaft und Austeritätsprogramm, verordnet durch die Bretton-Woods-Institutionen, etc. Kurz: Alles, was die Industrieländer effektiv zur Ursachenbekämpfung beitragen könnten, klammert der Pakt wohlweislich aus.

 

Jämmlicher Opportunismus der ehemaligen Mitte

Besonders übel ist aber an der ganzen Geschichte vor allem die Rolle der ehemaligen politischen Mitte. Offenbar frei von jeder Scham die Fakten über den Pakt frei zu erfinden, haben sich FDP und CVP entschieden der SVP die Arbeit im Wesentlichen abzunehmen. Stimmt, die Strategie hat ja in den letzten 30 Jahren schon brillant funktioniert, warum nicht so weitermachen? Der globale Pakt für Migration wäre vielleicht ein Mini-Anfang überhaupt auf internationaler Ebene über Migration und Flucht zu sprechen. Wenn jetzt auf Länder wie Ungarn, die USA oder Österreich mit rechtsextremen Parteien in der Regierung verwiesen wird, um die Ablehnung des Pakte zu begründen, dann sagt das weder etwas über den Pakt aus, noch über diese Ländern, sondern vor allem über das kümmerliche Schicksal liberaler und von mir aus christilicher Werte in den Parteien der ehemaligen Mitte. Wer glaubt Stärke mit Härte gegen die Schwächsten zu beweisen, ist nicht stark, sondern jämmerlich.

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