
Vor den Sommerferien liess die grüne Regierungsrätin Susanne Hochuli eine kleinere Bombe platzen: Sie könne sich eine Privatisierung der Aargauer Spitäler durchaus vorstellen, erklärte sie. Offenbar spukt der neoliberale Geist bei der Aargauer Regierung in den Sitzungszimmern öfter, als man es nach dem Totalzusammenbruch dieser Ideologie nach 2008 erwartete.
Was das neoliberale Programm im Gesundheitswesen für eine Gesellschaft bedeutet, konnte ich diesen Sommer in Griechenland beobachten. Die von der Eurogruppe erzwungenen Massnahmen treffen die Schwächsten der Gesellschaft hart. So wurde der Selbstbehalt bei Medikamenten in den letzten Jahren auf 25 Prozent verfünffacht. Medikamente sind für chronisch Kranke und für Rentner_innen mit 300 Euro monatlich unerschwinglich. Mit den „Spar“massnahmen im öffentlichen Gesundheitswesen kollabieren die öffentlichen Spitäler. Auf Operationen muss teilweise monatelang gewartet werden. Frustrierte Ärzte nutzen die Situation aus und erpressen Schmiergelder, erzählten mir Betroffene.
Abgeordnete der Syriza, Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker und einfache Bürger haben nun begonnen, so genannte Solidaritätskliniken zu gründen. In diesen Kliniken werden notleidende Menschen kostenlos behandelt. Eine solche Klinik im Athener Stadtteil Omonia konnte ich besuchen. Über 80 Freiwillige arbeiten hier jeden Tag gratis. Als wir frühnachmittags in dem Gebäude ankommen, warten bereits 60 Personen in dem überfüllten kleinen Wartezimmer bei weit über 40 Grad Hitze. Viele dieser Menschen besassen vor wenigen Jahren noch ein Haus, ein Auto und hatten einen festen Job. Jetzt sind sie auf Medikamentenspenden aus dem Ausland angewiesen und warten still und oft beschämt. Hier wird greifbar, was der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras meint, wenn er sagt, die Griechinnen und Griechen hätten in dieser Zeit ihre Würde verloren.
Die Szene erinnerte mich an die Bilder der Suppenküchen aus der Zwischenkriegszeit, die man uns in der Schule gezeigt hat. Der Vergleich zeigt: Auch hier leiden Menschen, weil die politische Elite in Europa (und die Vorgängerregierungen in Athen) knallhart die Interessen der Finanzbranche gegen die Interessen der Menschen durchgesetzt hat. Das griechische Drama ist viel weniger ein ökonomisches als ein politisches Versagen: Folge einer jahrzehntelangen (von den europäischen Machthabern protegierte) Klientelwirtschaft gepaart mit einer zynischen, neoliberalen Versuchsanlage. Für die reichen Griechen und die privaten Gesundheitsanbieter mag sich das Experiment gelohnt haben, für uns alle anderen muss es ein Mahnmal dafür sein, wie wichtig die öffentliche Kontrolle über den Gesundheitssektor ist.
Der zivilgesellschaftliche Widerstand in Griechenland ist im Netzwerk „Solidarity 4 all“ zusammen geschlossen. Dieser Text ist in links.ag Nr. 156 erschienen.