Warum Martin Landolt richtig liegt

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Martin Landolt, Präsdient der BDP

Nüchtern betrachtet verändern Wahlen in der Schweiz kurzfristig jeweils relativ wenig. Die politischen Blöcke haben sich eigentlich seit dem zweiten Weltkrieg sehr selten substantiell verschoben. Spannend wird es – für den studierten Politikwissenschaftler – immer dann, wenn neue Parteien das Feld betreten. Zum Beispiel die Grünen in den 1980er Jahren, oder, weitaus erfolgreicher, die „neue“ SVP nach 1992. Im wissenschaftlichen Jargon nennt man diese Parteien „challenger parties“, also Herausforderer. Ihr Schicksal entscheidet sich daran, ob die Herausforderung der etablierten Parteien gelingt oder nicht. Nach der Jahrtausendwende haben zwei neue Parteien das Wagnis einer Neugründung gewagt, die GLP und die BDP. Vor ein paar Jahren habe ich in einem Seminar an der Uni Zürich die These aufgestellt, GLP und BDP seien vorübergehende Phänomene. Das war damals bestenfalls gut geraten und dürfte auch heute vielen noch als gewagte These erscheinen. Klar ist aber, dass die Wahlen 2015 für die neuen Parteien und für die gesamte Konfiguration der poitischen „Mitte“ entscheidend sein werden.

Für GLP und BDP und CVP stellt sich bei den Wahlen 2015 wohl nichts weniger als die Frage, ob sie in Zukunft Bern überhaupt noch eine gewichtige Rolle spielen wird. Keiner der dreien ist es nach der Abwahl von Christoph Blocher 2007 gelungen ein politisches Programm zu entwickeln, dass sich irgendwie lesbar von anderen Parteien unterscheidet. Man hat das Gefühl, alle Parteien würden krampfhaft nach ihrer Rolle im Parteiengefüge suchen. Der Politikwissenschafter erklärt dies mit der so genannten Cleavage Theorie. Diese Theorie besagt, dass Parteien der Ausdruck von gesellschaftlichen Bruchlinien sind, an denen gegensätzliche Interesse und Ideen oder Ideologien aufeinandertreffen. Der bekannteste Cleavage ist sicher der Gegensatz von Arbeit und Kapital, der sich lange in den beiden Polen FDP und SP kristallisierte. Prägend für die Schweiz war auch der religiöse Cleavage, vor allem durch die CVP als Partei der katholischen Modernisierungsverlierer nach 1848. Der Aufstieg der SVP hingegen wird oft mit dem Aufbrechen einer neuen Konfliktlinie zwischen Gewinnern und Verlierern der Globalisierung interpretiert. Diese Konfliktlinien verändern sich über die Zeit und sind auch regional teilweise stark unterschiedlich ausgeprägt. Sie sind für die Parteien entscheidend: An diesen Konfliktlinie orientieren sich ihre Basis und ihre Anhänger.

Das Problem der CVP besteht darin, dass ihr historischer Auftrag – die Verteidigung des vermeintlich bedrohten Katholizismus – spätestens seit den 1980er Jahren rasant an Bedeutung verliert. Damit bricht ihr Stammklientel schleichend weg, ein neues ist nicht in Sicht. Und gleichzeitig hat sie mit der jahrelangen Anlehnung an die SVP ihre Lead-Rolle in der Sozialpolitik eingebüsst. BDP und GLP hingegen sind Parteien ohne eigenen Cleavage: Ihnen fehlt eigentlich sowohl ein zentrales Thema als auch eine damit verbundene Stammwählerschaft. Weder die BDP noch die GLP konnten sich bisher als entscheidende Kraft in einem Politikfeld etablieren. Auffallend ist, dass bisher als einziger von den drei betroffenen Parteipräsidenten der BDP-Chef Martin Landolt aktiv versucht, genau diese Lücke zu füllen. Der versucht sich und seine Partei mit den Faschismus-Vorwürfen an die SVP, mit der Öffnung in gesellschaftlichen Fragen, in der Energiedebatte oder mit seinem wiederholten Vorpreschen in der Europa-Debatte als das zu Positionieren, was vielleicht einst die FDP war: Als fortschrittliche Partei der bürgerlichen Vernunft. Es wäre zu wünschen, dass ihm das gelingt.

Klar ist: Drei Parteien mit weitgehend austauschbaren und unklaren politischen Inhalten werden mittelfristig kaum überleben. Eine erste Re-Orientierung der Wählerinnen zu den grossen Parteien haben wir in dieser Legislatur bereits in verschiedenen Kantonen gesehen. Jener Partei aus der Mitte, die 2015 stagnieren oder gar verlieren, dürfte es schwer haben, ein LdU-Schicksal abzuwenden.

Dieser Text ist am 13. August 2015 in der Weltwoche erschienen.

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