Kurz notiert (haha, Wortspiel): „Le parti, c’est moi“ oder wenn der neue Liberalismus autoritär wird

Vorneweg: Ja, selbstverständlich hätte ich im zweiten Wahlgang in Frankreich Macron gewählt. Aber ich hatte und habe einfach keine Lust den „heiligen Emanuel“ (WoZ) allmorgendlich öffentlich als Rückkehr des heiligen Messias zu feiern. Das scheint bereits Grund genug, unter heimlichen FN-Sympathie-Verdacht gestellt zu werden. Geschweige denn man besässe die Frechheit, Macron zu kritisieren. So, aber nun genug öffentliche Frustbewältigung über das Totalversagen der französischen Linken (das ist ja eigentlich der Kern der Tragik). Übers Wochenende ist mir eine quasi organisatorische Parallele zwischen Macron und Sebastian Kurz (ehemals ÖVP, neu ÖVP-Chef) aufgefallen, die Fragen aufwirft. Beide scheinen eine ähnlich undemokratische Vorstellung von Parteiorganisation zu haben.

Um was es mir spezifisch geht ist die Kür ihrer Parlamentskandidat_innen. Bei Macron macht ein Ausschuss von neuen Leuten für jeden Wahlkreis einen Dreiervorschlag an den Parteichef. Dieser wählt schlussendlich aus, wer wo kandidieren darf oder eben nicht. Sebastian Kurz hat in seinen Bedingungen an den ÖVP-Vorstand ein sehr ähnliches Modell übernommen. Er soll künftig die Bundesliste selber zusammenstellen dürfen und hat für jede Landesliste ein Vetorecht. Die beiden Modelle kommen über kurz oder lang (haha, Wortspiel) auf dasselbe raus: Totale Kontrolle über Partei und – im Idealfall – parlamentarische Mehrheit mittels absoluter Loyalität. Wer nicht spurt, verliert bei der nächsten Wahl das Placet des Chefs und ist raus. Das ist, sagen wir’s mal einfach, nicht gut. Nebenbei bemerkt: Kurz will ja bei den anstehenden Wahlen zwar den Chefsessel bei der ÖVP übernehmen, aber auf der eigenen „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“ kandidieren. Dreimal dürfen Sie raten, wer das Modell erfunden hat: Richtig, Putin. Er war lange zwar Chef von Einiges Russland, aber nicht Parteimitglied.

 

Meine Partei, die Firma

Zur Illustration dessen, was ich meine möchte ich unverfälscht Richard Ferrand, Generalsekretär der Bewegung „La République En Marche“ (ehemals „En Marche la France“ ehemals „En Marche“ – man beachte die Wandlung), zitieren:

„Nous avons l’objectif de bâtir une majorité de changement et donc d’obtenir pour le groupe parlementaire La République en marche une majorité absolue à l’Assemblée nationale», a dit Richard Ferrand. Le processus de sélection a été «d’une rigueur, d“une objectivité et d’une impartialité sans précédent sous la Ve République». Ces investitures signent «le retour définitif des citoyens au coeur de notre vie politique“» a-t-il ajouté. Selon lui, «19’000 dossiers de candidature ont été déposés (…) sans compte l’afflux de quelques milliers ces derniers jours». Cela s’est traduit par un «travail de titan» de «plus de 250 heures en trois mois», avec notamment «plus de 1700 entretiens téléphoniques ou physiques». Les promesses de renouvellement, parité réelle, probité, pluralisme politique et cohérence sont ainsi tenues, a assuré Richard Ferrand. Les quelque 150 derniers candidats seront investis d’ici à mercredi.“ Quelle: Le Temps

(Auf mehrfache Nachfrage hier die Übersetzung: „Unser Ziel ist es, eine Mehrheit für den Wechsel zu bekommen und also eine absolute Mehrheit für die Bewegung „La République en Marche“ in der Nationalversammlung“, sagt Richard Ferrand. Der Auswahlprozess, sei „von einer Strenge, Objektivität und Unparteilichkeit, wie es sie in der fünften Republik noch nie gegeben hat“. Diese Auswahl markiere „die definitive Rückkehr der Bürger ins Herzen des politischen Lebens“ fügt er hinzu. Und weiter: „19’000 Dossiers wurden eingereicht (…) ohne die paar tausend mitzuzählen, die in den letzten Tagen noch nachgereicht wurden.“ Es eine „Mordsarbeit (Arbeit von Titanen)“ gewesen, „250 Stunden Arbeit in drei Monaten“, darunter „mehr als 1700 Telefoninterviews oder direkte Gespräche“. So würde das Wahlversprechen der Erneuerung, der Geschlechtergleichheit, der Aufrichtigkeit, des politischen Pluralismus und der Kohärenz“, versichert Richard Ferrand. Die fehlenden 150 Kandidaten würden bis Mittwoch ausgewählt.“)

Man merkt schnell, was der Mann hier beschreibt: Es ist eine Firmengründung. Zuerst hat man das Projekt aufgesetzt und den CEO auf Probelauf geschickt. Jetzt stellt man ihm das nötige Projektteam zur Seite. Was hier beschrieben wird hat mit einem demokratischen Nominationsprozess nichts zu tun. Das ist ein Assessment für eine Kaderstelle, ein Bewerbungsprozess. Vielfalt ist nicht mehr eine Frage demokratischer Auswahl, sondern wird durch technokratisches und statistisches „Diversity Management“ ersetzet (die Chefetage schaut, dass alle ein bisschen vertreten sind). Was also die neue Bewegung – mit Recht – an der französischen Parteienlandschaft kritisiert, u.a. genau die Selbstauswahl der Elite, ist sie gerade am Reproduzieren. Nur halt einfach effizienter dank schlankerer Strukturen (auch schon gehört…). Genau in der gleichen Logik hat Macron übrigens bereits in der Regierung Hollande geholfen, die Arbeitsmarktreform am Parlament vorbei – eben autoritär – durchzusetzen. Dazu passt das Gerede von „weder rechts, noch links“: Nicht Inhalte, sondern nur Resultate zählen. Genauso verkauft man Produkte „am Markt“.

Der Typ „Macher“

Dahinter steckt eine schleichende Übertragung neoliberaler Managementvorstellungen auf die Politik. Woher das kommt und wieso sich das durchsetzt wäre Stoff genug für eine ganze Bibliothek (die Bücher dazu sind übrigens zum grossen Teil schon geschrieben). Es ist aber sicher kein Zufall, dass sich „die Macher“ in einer Zeit der zunehmenden Krisenhaftigkeit unserer Gesellschaft immer grösseren Zufalls erfreuen. Sie ersetzen mit ihren Modellen nicht weniger als den Kern von Politik, die demokratische Aushandlung, durch die zum eigenständigen Wert mutierte „Effizienz“. Sie werden in Leitkommentaren und Feuilletons bewundert, weil sie sich endlich einmal mit „Reformen durchsetzen“ (haben Sie schon mal bemerkt, wie oft ganze Tagesschauen voll sind mit dem Ruf nach Reformen, aber niemand sagt, was damit gemeint ist?). Die Legitimation von Politik liegt nicht mehr in der Qualität des demokratischen Prozesses (von wem, für wen, durch wen), sondern in dem, was die Politolog_innen „Out-Put-Legitimation“ nennen. Das ist nichts anderes als die Übernahme autoritärer, betriebswirtschaftlicher Führungsmodelle auf politische Prozesse. Weil „die Globalisierung“ von uns die Anpassung an scheinbar unveränderbare Sachzwänge verlangt, kann das Programm getrost jenseits demokratischer Prozesses von so genannten „Experten“ festgelegt werden, das politische Personal ist nur noch zur technokratischen Durchsetzung da. So funktionieren Unternehmen. Die unverhohlene Kritik an Parteichefs, die an interne Checks und Balances gebunden sind, ist inzwischen salonfähig. So steht Christian Levrat genauso in der Kritik, wenn sich die Parteijugend erfrecht, eigene Politikvorstellungen zu formulieren und durchzusetzen, wie Alexis Tsipras oder Jean-Luc Mélenchon, wenn sie sich weigern, die eigene Basis angesichts vermeintlicher Sachzwänge zu disziplinieren.

Liberale und Autoritäre treffen sich – in unterschiedlichen Ausmass – in ihrer Kritik dessen, was sie als den schlechten Einfluss von 1968 auf unsere Gesellschaft verstanden haben wollen. Dazu gehört der vermeintliche Mangel an Durchsetzungsfähigkeit, Disziplin und Opferbereitschaft. Der ganze Plunder also, der einen (die ausschliesslich männliche Form ist hier schon richtig) am Arbeiten hindert und Europa offenbar „reformunfähig“ macht, gehört abgerissen. Wer hier auch den Diskurs des „Rottamatore“, also Renzi, anklingen hört, hört richtig. Es ist kein Zufall, dass diese Vorstellung des heilsbringenden Machers vor allem Männer an die Spitze neuer Bewegungen verhilft (by the way, muss da auch die Linke über die Bücher. Es mutet schon eher kurios an, wie stark – tatsächlich dringen notwendige – die personalpolitische Erneuerung der Post-2008-Linken praktisch ausschliesslich über neue, starken Führer- und Vaterfiguren geschieht – ohne „_in“.  Da spielt neue Linke oder linksliberal offenbar nicht so eine Rolle: von Iglesias über Tsipras, bis Schulz, Mélenchon, Sanders, Corbyn oder eben Obama, Trudeau, Macron und Renzi. Thema für einen eigenen Text…).

Sebastian Kurz selber sieht sich dann auch durchaus in der politischen Kontinuität dieser neuen, jungen Macher, wenn er Macron zum Wahlsieg per Twitter gratuliert: „Gratulation an Emmanuel Macron zum Wahlsieg – linke Politik wurde klar abgewählt. Wichtig, dass Frankreich nun umfassende Reformen angeht.“ Kurz‘ Freude an autoritären Führerfiguren ist ja bereits aktenkundig. So hat er sich öffentlich für den mazedonischen Antidemokraten Gruevski stark gemacht. Und er geht im autoritären Umbau seiner Partei ungleich weiter, als alle anderen in Westeuropa vor ihm. Neu soll er nicht nur die Bundeswahlliste der ÖVP eigenhändig zusammenstellen, die Landeslisten mit Veto blockieren, sondern auch vollen und alleinigen Durchgriff auf die politischen Inhalte und die Zusammensetzung der (allfälligen) Regierung erhalten. Frei nach Louis XIV: Le parti, c’est moi! Die Kritik der europäischen Christdemokraten an der AKP und vor allem die ausbleibende Kritik an Orban erhält einen zynischen Beigeschmack. Ganz abgesehen von Kurz‘ zutiefst fremdenfeindlichen und opportunistischen Asylpolitik. Und vor allem erzeugt die unverhohlene Begeisterung vermeintlich „liberaler“ Kommentatoren für die „Durchsetzungsfähigkeit des Jungstars“ zunehmend Brechreiz…

 

Demokratie retten wir nur durch Demokratie

Man soll mich nicht falsch verstehen: Es ist falsch (und von mir aus dumm), zu behaupten Macron wäre das Gleiche die Le Pen oder Kurz. Die Geschichte lehrt uns das Gegenteil. Und tatsächlich hat Macron vor allem europapolitisch bereits einiges angekündigt, was richtig ist. Im Unterschied zu vielen anderen glaube ich, hat er die Qualität, Dinge in die richtige Richtung anreissen zu wollen. Man wird ihn gerade auch an seinen Resultaten messen müssen. Aber nicht nur. Sondern auch, wie er sich und seine Bewegung gegen Typen wie Kurz abgrenzt. Die Demokratie retten wir nicht, im wir sie degradieren. Autoritäre Regierungen und Bewegungen schlägt man nicht, in dem man ihre Kritik an der „demokratischen Ineffizienz“ nett umformuliert. Sondern in dem wir der Demokratie den Platz zuweisen, an den sie gehört: Ins Zentrum jeder politischen Organisation von der Partei bis zu staatlichen Institutionen. Deshalb wäre es genauso falsch, die offensichtlichen Parallelen einer neuen Begeisterung für den Autoritarismus nicht zu thematisieren. Wenn es um die Linke geht, tut das die Presse ja sehr regelmässig und ausführlich (darum lasse ich das hier, das wird dann schon übernommen). Wir sollten aber aufpassen, auf dem liberalen Auge nicht blind zu werden. Oder um mit einer Antwort auf die Frage eines Schweizer Mediums „Wo ist der Sebastian Kurz der Schweiz?“ abzuschliessen: Hoffentlich noch lange nirgends.

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