Am 24. November stimmen wir über die 1:12-Initiative ab, weil sich ein paar wenige Superreiche schamlos am Lohnkuchen bedienen. Diese Selbstbedienungsmentalität macht aber lange nicht bei den Löhnen halt. Das gleiche passiert bei den Steuern.
Das Argument von rechts geht immer gleich: Wenn wir die Steuern für die grossen Unternehmen und Reichen senken, dann geht es uns allen besser. Und wenn wir es nicht tun, dann verlieren wir Arbeitsplätze und Wachstum. Zuletzt haben die Mächtigen im Mittelalter so argumentiert: Nur wenn der Adel Privilegien bekomme, bleibe die gesellschaftliche Ordnung aufrecht.
Es ist bemerkenswert, wie die gleiche Mär heute wieder als Wahrheit verkauft wird. Nur sind es nicht mehr adlige Stände sondern Reiche und Topmanager und es geht nicht mehr um Grafschaften und Lehen sondern um Grossunternehmen und Villen. Es gab nur eine Richtung: Steuern runter. Der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen wurde so hart, dass wir heute vor einem Scherbenhaufen stehen: 17 Kantone müssen für 2014 ein Defizit budgetieren, flächendeckend gibt es Sparprogramme. Und diese Sparpakete gehen ans Lebendige. Der Kanton Luzern kürzt die Schulzeit um eine Woche, Bern schliesst Berufsschulen, St. Gallen will bei den Ergänzungsleistungen für Behinderte sparen, der Aargau streicht Unterstützungen für Familien bei den Krankenkassenprämien. Ganz oben aber sind die Unternehmensgewinne der Grossen explodiert – die Unternehmen mit mehr als einer Million Umsatz haben ihre Gewinne zwischen 2004 und 2008 mehr als verdoppelt. 2008 versteuerten diese 8200 Firmen 270 Milliarden Franken – alle übrigen Unternehmen, also mehr als 300’000 KMU, durften sich den kümmerlichen Rest von noch 10 Milliarden Gewinn teilen. Abkassiert haben die Topmanager und Aktionäre: Die Gewinnausschüttungen an die Aktionäre haben sich seit 1990 verdreifacht – auf sagenhafte 34 Milliarden Franken jährlich. Und seit dem Volksbetrug bei der Unternehmenssteuerreform II sind Milliarden von Dividenden auch noch steuerfrei.
Die bürgerliche Mehrheit will jetzt die Finanzlöcher nicht etwa mit einer Korrektur bei der Unternehmenssteuer stopfen, sondern mit generellen Steuererhöhungen für die Bevölkerung – schon vier Kantone sehen solche Erhöhungen bereits für 2014 vor, weitere folgen in den nächsten Jahren, darunter auch der Aargau. Im Klartext: Wir alle dürfen die Steuergeschenke für die Grossen und Reichen im Nachhinein doppelt finanzieren: Wir sollen für weniger Staatsleistungen mehr Steuern zahlen. Es ist wie damals im Mittelalter: Weil sich der dekadente Adel an seinen Orgien überfrisst, müssen der Bauer und die Bäuerin mehr Lehnsabgaben leisten.
Es macht schlichtweg keinen Sinn mehr, dass sich in unserem kleinen Land die Kantone weiterhin aufs Blut bekämpfen. Wir haben zwei Optionen: Entweder die Spirale der Steuersenkungen dreht sich weiter. Dann folgen darauf neue Sparprogramme und auf diese wieder neue Steuersenkungen und so weiter. Wenige werden noch reicher, die verheerenden Folgen trägt die grosse Mehrheit. Oder aber wir wagen den „Bauernaufstand“ gegen den neuen Geldadel. 1789 hat die Französische Revolution den Adel in die Geschichtsbücher verbannt. In einer Demokratie sind wir zum Glück nicht mehr auf so drastische Massnahmen angewiesen. Wir können dem verheerenden Steuerwettbewerb ganz einfach einen Riegel schieben. Die Schweiz braucht tatsächlich eine demokratische Revolution in der Steuerpolitik. Vor allem sollten wir die Steuern für Unternehmen schweizweit vereinheitlichen. Ein Land, eine Steuer. Eine solcher Vorschlag könnte das nächste grosse Initiativprojekt nach der 1:12-Initiative sein.
Dieser Artikel ist am 15.11.13 in der Nordwestschweiz/Aargauer Zeitung erschienen.