1. Mai 2025: Die Dinge beim Namen nennen

Rede gehalten in Liestal (BL) und Solothurn (SO)

Es gilt das gesprochene Wort

Letztes Wochenende hat unsere jüngere Tochter eine Karikatur des Begräbnisses des Papstes betrachtet, auf der auch verschiedene Staatschefs abgebildet waren. Plötzlich sagt sie: «Wie heisst der schon wieder, hier, mit den roten Haaren? Ich weiss, dass ist nicht Putin, das ist doch dieser andere Saugoof, oder?» Auch wenn man über diese Begrifflichkeit streiten kann, hat unsere Tochter hier intuitiv etwas sehr Richtiges und Wichtiges gemacht. Sie hat die Dinge beim Namen genannt. Und damit eine Grenze gezogen, was geht und was nicht mehr geht. Sie hat offensichtlich schon besser verstanden, wie man mit den Trumps dieser Welt umgeht, als die Mehrheit in Bundesbern. Im Englischen gibt es den Duck-Test: If it looks like a duck, swims like a duck, and quacks like a duck, then it probably is a duck. Wenn es aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente, quakt wie eine Ente, dann ist es wahrscheinlich eine Ente. Und wenn Trump spricht wie ein Neofaschist, sich von faschistischen Ideologen beraten lässt und politisiert wie ein Neofaschist, dann ist das Neofaschismus und dann sollten wir das auch so benennen, egal ob das jenen passt, die einen Kuschelkurs mit Washington fahren wollen oder nicht.

Ich weiss nicht, wie es euch geht. Aber vor wenigen Tagen sind Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin aus den USA zurückgehrt. Die Schweiz sei, so sagt sie nach der Reise, unter den 15 prioritären Nationen für die Trump Regierung. Auf den Titelseiten der Schweizer Presse wurde das gefeiert, als ob die Schweiz gerade Fussballweltmeister geworden wäre. Ich mag diese Euphorie nicht teilen. Ganz ehrlich, ich bin echt angewidert von dieser Anbiederung der Schweizer Regierung im Weissen Haus.

Erstens ist das die x-te Wiederholung vom gleichen, schlechten Film. Während sich überall auf der Welt Menschen gegen die Möchtergern-Diktatoren wie Trump auflehnen, versucht der Schweizer Bundesrat sich durch die Lücken zu wursteln, um noch den letzten Franken Business auch mit den übelsten Typen rauszuholen, den man rausholen kann. Anstatt solidarisch mit den Europäerinnen und Europäern hinzustehen, fallen wir der EU mit unserer Paralleldiplomatie in den Rücken. Dieses Modell der verantwortungslosen Geschäftemacherei auf Kosten der internationalen Regeln gehört genau an einen Ort hin, nämlich auf den Müllhaufen der Geschichte.

Und zweitens ist es ein fatales Missverständnis, zu glauben, man könne mit Trump einen «Deal» machen. Die Willkür, die Unberechenbarkeit, die sich jeder Logik entziehende Entscheidungsfindung, das hat Methode. Es geht genau darum, Wahrheit und Vernunft zu zerstören. Erst wenn ich den Anspruch auf Wahrheit, den Anspruch auf eine vernünftige Herleitung einer Position aufgebe, erst dann ist die Macht ganz oben konzentriert. Weil ich dann nur noch glauben kann, oder zumindest tun muss, was der ganz oben sagt, ohne es zu hinterfragen. Die ständigen Lügen und plötzlichen Strategiewechsel aus dem Weissen Haus sind nicht einfach Ausdruck unkontrollierter Testosteronschübe, sondern ein dauernder Loyalitätstest. Wer ist loyal genug, um den nächsten Schwachsinn vor der Kamera zu verteidigen? Welche Regierung kommt als erstes angekrochen, wenn ich mit Zöllen drohe? Was glaubt der Bundesrat, was die Trump-Regierung für Schlüsse zieht, wenn sie jetzt Länder wie die Schweiz ein erstes Mal erpressen kann? Dann wird sie es wieder und wieder und wieder tun. Und wir sehen, was das heisst. Weil Trump die internationalen Regeln schleift, attackiert die israelische Regierung die Menschen in Gaza noch ungehemmter als vorher. Weil er es jetzt kann, bombardiert Putin die Ukraine heftiger denn je. Es sind nicht die Grossmächte, die auf internationale Regeln angewiesen sind, es sind die kleinen, auch die kleinen wie die Schweiz. In Artikel zwei unserer Bundesverfassung steht unter «Zweck» dieses Landes, dass es die Eidgenossenschaft gibt, um die «Freiheit, die Rechte und die Unabhängigkeit des Volkes» zu schützen und eine «friedliche und internationale Ordnung» durchzusetzen. Dort steht nicht, dass die Regierung dieses Landes eine Aussenstelle des trumpschen Königreiches ist, und ich erwarte, dass der Bundesrat jetzt endlich sein Rückgrat findet und für die Verfassung dieses Landes nicht nur in Ansprachen am 1. August einsteht, sondern auch dann, wenn man den Trumps dieser Welt die Stirn bieten muss.

Politische Willkür führt zwangsmässig zu Gewalt. Man kann nur mit Gewalt willkürliche Entscheidungen gegen demokratische, politische Institutionen durchsetzen. Gewalt anzuwenden gegen die jene, die scheinbar vor der Sonne stehen, ist ein zentrales Versprechen rechtsextremer Politik. Diese Politik zielt darauf ab, Durchlässigkeit zu verhindern. Die Gesellschaft soll klar strukturiert sein, klar hierarchisiert. Einheimische vor Ausländern, Männer vor Frauen, Weisse vor Schwarzen, Reiche vor Armen. Alle jene, die aufsteigen wollen, sollen wieder dorthin verwiesen werden, wo sie früher mal waren. Frauen an den Herd, Ausländer raus, LGBTQ+ Menschen weg aus der Öffentlichkeit, Arbeiter:innen schweigend in die Fabrik. Treten gegen unten, damit ja niemand nach oben schaut. 

Weil sich nur so verschleiern lässt, worum es eigentlich geht. Weil was wir jetzt weltweit sehen als Rechtsruck, von Le Pen über Trump, die SVP, die AfD, Ungarn bis Modi in Indien, das ist nicht weniger ein Coup der Oligarchen und Eliten der Welt gegen die Demokratie und die Menschenrechte. Die Rechten geben sich zwar gerne als Vertreter des kleinen Mannes, aber sie machen, einmal an der Macht, knallharte Politik für die Reichsten und Mächtigsten. 16 Billionen US-Dollar, eine 16 mit 12 Nullen. Das ist das Vermögen der 3000 Dollar-Milliardäre, die es inzwischen auf unserem Planeten gibt. Die fünf reichsten Männer, nur die fünf reichsten Männer der Welt, haben ihr Vermögen seit 2020 mehr als verdoppelt, von 400 auf 870 Milliarden US-Dollar. Und das, während das Vermögen von 60 % der Weltbevölkerung im gleichen Zeitraum zurück gegangen ist und 750 Millionen Menschen an Hunger leiden. Diese Zahl steigt seit zehn Jahren wieder an. Das, was wir erleben als rechte Welle, ist nichts anderes als Klassenkampf von oben im globalen Ausmass.

Was also muss die Linke jetzt tun? Das Wichtigste ist, Genossinnen und Genossen, wir dürfen keinesfalls in die Falle tappen, die man uns stellt, und anfangen, den Status Quo zu verteidigen. Der Status Quo ist keine Alternative. Der neue Faschismus ist nichts, was von aussen kommt. Er speist sich aus der Enttäuschung über die demokratische Politik.

Dreissig Jahre Neoliberalismus haben uns überhaupt erst an den Punkt gebracht, an dem der Neofaschismus eine ernsthafte Bedrohung wird. Jedes Mal, wenn wir etwas mehr soziale Gerechtigkeit wollten, bei den Renten, bei den Löhnen, bei den Sozialversicherungen hiess es, tut uns leid, wir haben kein Geld. Aber jedes Mal, wenn die Banken und die Grosskonzerne für Rettungsprogramme und Steuergeschenke auf der Matte standen, dann war plötzlich Geld da. Jedes Mal, wenn wir das Leben verbessern wollen, wenn wir es den Konzernen verbieten wollen, Menschenrechte zu verletzen oder Profite auf Kosten des Klimas zu machen, heisst es, ai, das können wir leider nicht «wegen den Märkten», da darf man nicht eingreifen. Und jedes Mal, wenn wir ein gesellschaftliches Problem lösen wollen, war die einzige Antwort mehr Wettbewerb, mehr Konkurrenz unter den Lohnabhängigen, mehr Ellenbogengesellschaft. Eine Gesellschaft, in der der Leistungsdruck permanent steigt, auf Lohnabhängige, auf Eltern, auf Schülerinnen und Schüler, in der wir zunehmend alle erschöpft sind von der dauernden Konkurrenz und in der sich die Politik mal um mal machtlos erklärt angesichts der imaginären Marktkräfte, kann man sich nicht wundern, wenn sich die einen abwenden und die anderen anfällig werden für Hass und Hetze. Und wem nutzt es, auch hier?

Aktuell ist ein Herr Wertheimer der reichste Mann in der Schweiz, er ist unter anderem Besitzer von Chanel und nennt bescheidene 38 Milliarden Schweizer Franken sein persönliches Vermögen. Wenn jemand mit einem Schweizer Durchschnittseinkommen von 85’000 Franken pro Jahr auf diesen Betrag kommen möchte, Stand heute, dann hätte diese Person, wenn sie nie auch nur einen Franken ausgegeben hätte für Wohnen, Essen, Steuern, etc., 475’000 vor Christus mit dem Arbeiten beginnen müssen, also ziemlich genau dann, als die britischen Inseln vom europäischen Festland getrennt wurden. Es ist genau diese Arroganz, diese Verantwortungslosigkeit, diese Selbstentmachtung und diese Respektlosigkeit der Politik, die die Menschen wütend macht und die die Enttäuschung über die demokratische Politik vorantreibt. Und genau da beginnt Antifaschismus. Er beginnt damit, dass wir darum kämpfen, dass die demokratische Politik endlich wieder Partei ergreift für die Menschen und nicht für die Eliten. Und genau darum müssen wir kämpfen, Genossinnen und Genossen. 

Genossinnen und Genossen, wir sind die Alternative. Die Alternative zu liberaler Verantwortungslosigkeit und faschistischer Hetze. Ihr habt [hier] in Solothurn vorgemacht, wie man das macht, als ihr gemeinsam Stahl Gerlafingen gerettet habt. Zuerst haben alle gesagt, ach komm, das ist verloren, was soll man um dieses Stahlwerk kämpfen. Dann haben zuerst die Arbeiter:innen selbst entschieden, dass sie sich das nicht bieten lassen. Und weil sie gekämpft haben, hat die Region angefangen mit ihnen zu kämpfen. Und dann an der Demo in Bern, ich erinnere mich genau, standen auf einmal die jungen Menschen des Klimastreiks auf der Bühne und haben sich dem Kampf angeschlossen. Und am Ende haben wir gewonnen, alle zusammen. Gewerkschaft, Partei, Klimastreik, feministische Bewegung. Weil wir zusammengehalten haben. Und genau das, Genossinnen und Genossen, ist das einfache Erfolgsrezept. Wenn wir solidarisch zusammenstehen, wenn wir uns nicht spalten lassen, dann gewinnen wir. Dann werden sich die Faschisten an uns noch die Zähne ausbeissen. Und das ist die zentrale Botschaft des 1. Mai 2025: An uns kommt ihr nicht vorbei, wir werden die Rechte von jedem und jeder einzelnen verteidigen und damit unser gemeinsames Recht auf eine sozial gerechte, ökologische und feministische Zukunft.