Investitionskontrollen: Stehen wir am Beginn der Legislatur der Paradigmenwechsel?

An ihrer Sitzung vom 23. April hat die Wirtschaftskommission unter anderem zur Einführung von Investitionskontrollen getagt. Es geht dabei um die Frage, ob ausländische Direktinvestitionen in strategische und kritische Bereiche der Infrastruktur künftig einer Bewilligungspflicht unterliegen. Konkret nennt der Gesetzesentwurf Rüstungsmaterialhersteller, Stromnetze und -produktion, Erdgas-Leitungen, Wasserkraft, zentrale Informatiksysteme und -dienstleistungen, Spitäler, Arzneimittelforschung und -produktion, Verkehrsinfrastrukturen, Lebensmittel-Verteilzentren, Telefonnetz (inkl. Internet), systemrelevante Finanzmarktinfrastrukturen und Banken (Artikel 3, Absätze 1 und 2). Das Gesetz wurde durch Vorstösse aus dem Parlament angeregt, insbesondere aus Sorge um den zunehmenden Einfluss von Staatsfirmen aus China. Der Bundesrat hat nur widerwillig einen Entwurf vorgelegt, er will das Gesetz eigentlich nicht.

Bemerkenswert ist vor allem, dass die Kommission den Geltungsbereich des Gesetzes deutlich ausweiten will. So sollen nicht nur, wie nach dem Willen des Bundesrates, „Sicherheit und Ordnung“ geschützt werden, sondern eben auch die Versorgung mit essenziellen Gütern und Dienstleistungen. Ausserdem hat die Kommission ebenfalls mit deutlicher Mehrheit beschlossen, dass die neue Genehmigungspflicht auch private Investoren erfassen soll, sofern sie ihren Hauptsitz nicht in der Schweiz haben. D.h. in Zukunft müssen direkte und indirekte Beteiligungen z.B. von ausländischen Fonds oder Multimilliardären an bestimmten Unternehmen durch den Staat geprüft und genehmigt werden. Das ist nichts als richtig: Die für das Funktionieren der Gesellschaft grundlegenden Infrastrukturen gehören in die öffentliche Hand und unter demokratische Kontrolle. Für uns als Sozialdemokrat:innen, ist das schon immer klar. Die Wirtschaftskommission in ihrer Mehrheit vollzieht damit aber einen regelrechten Paradigmenwechsel. Bis heute schienen die uneingeschränkte Globalisierung, die Freiheit des Kapitals und die möglichst umfassende Privatisierung der staatlichen Infrastrukturen und die Ekel vor jeglichen Staatseingriffen in „die Wirtschaft“ eigentlich als ideologische Fixsterne unverrückbar.

Noch ist das Gesetz noch lange nicht im Trockenen, die Lobbys werden ihre Maschinen schon noch anwerfen. Trotzdem ist das bereits der zweite Tabubruch in einer ähnlichen Debatte in der noch jungen Legislatur. Gerade erst wurde das Dogma aufgebrochen, das jahrelang jede Debatte über zusätzliche Staatseinnahmen verboten hatte. Die Mitte fordert mehr Mehrwertsteuer (keine sonderlich gute Idee), eine Sonderfinanzierung für bestimmte Staatsausgaben an der Schuldenbremse vorbei (schon besser), eine Finanztransaktionssteuer (schon viel besser) und ein FDP-Nationalrat schlägt sogar eine stärkere Besteuerung von Unternehmen vor. Man traut seinen Augen und Ohren kaum. Vollzieht sich hier gerade ein wirtschafts- und finanzpolitischer Epochenbruch? Stehen wir am Anfang einer Legislatur, die spannender wird als befürchtet, gar am Anfang einer Legislatur des Paradigmenwechsels? Das zu behaupten wäre zwar vorschnell, aber die Tabus fallen gerade in atemberaubender Geschwindigkeit. Der Grund hingegen für den breiten Sinneswandel ist so banal wie offensichtlich: Die liberale Ideologie ist an Finanzkrise, Ungleichheit, Klima-, Gesundheits-, Kaufkraft-, Ungleichheits- und Ukraine-Krise krachend gescheitert. Das habe ich vor einiger Zeit bereits hier in der NZZ beschrieben. Vor so viel Realität kann offenbar nicht mal Bundesbern die Augen verschliessen.