Klassenkampf von oben gegen die Mitte der Gesellschaft – und das Parlament spielt munter mit

Bild: Work Zeitung

Den Schweizer Grosskonzernen geht es gut. In den Teppichetagen herrscht Goldgräberstimmung. 2024 strichen die Chefs der grössten Schweizer Firmen erneut zweistellige Millionenbeträge ein: Allen voran Novartis-CEO Vasant Narasimhan. Er kassierte 19,2 Millionen Franken – 333-mal mehr als die Person mit dem tiefsten Lohn in seinem Unternehmen. Ähnlich sieht es auch in anderen Grosskonzernen aus. In der UBS verdient Sergio Ermotti 276-mal mehr als der tiefste Lohn, bei Nestlé beträgt das Verhältnis 1:218, bei Richemont 1:204. Während in den 1970er Jahren ein Verhältnis von 1:24 zwischen dem tiefsten und dem höchsten Lohn auch in den Kozernen noch normal war, sind wir heute bei einem Schnitt von 1:143.

Doch nicht nur die Manager bedienen sich. Allein an Dividenden schütteten die 39 grössten Schweizer Unternehmen 2024 satte 46’000 Millionen Franken an ihre Aktionäre aus. Hinzu kamen Milliarden für Aktienrückkäufe. Geld ist also im Überfluss vorhanden – aber es fliesst nach oben statt in die Löhne jener, die mit ihrer Arbeit diese Gewinne überhaupt erst ermöglichen. Während oben im Überfluss gebadet wird, geraten die Einkommen am unteren Ende und in der Mitte der Gesellschaft durch steigende Mieten und explodierende Krankenkassenprämien immer stärker unter Druck.

2024 sind die Toplöhne um fast 20% gewachsen, während die Einkommen der Mittelklassen kaum noch wachsen. Diese Lohnschere ist nicht nur ungerecht, sondern eine Gefahr für unsere Demokratie. Wo Reichtum und Einfluss in wenigen Händen konzentriert sind, verliert die Mehrheit ihre Stimme. Reiche kaufen sich politischen Einfluss über Parteispenden, private Medien und öffentliche Werbung. Wer am Monatsende kaum die Miete bezahlen kann, verliert hingegen den Glauben an das politische System. So wird der soziale Kitt der Schweiz brüchig.

Besonders zynisch ist, dass ausgerechnet jene Kreise im Parlament, die Spitzenlöhne und Milliardenausschüttungen verteidigen, gleichzeitig die Mindestlöhne attackieren. Das vom Nationalrat bereits abgesegnete «Lohnsenkungsgesetz» könnte demokratisch beschlossene kantonale Mindestlöhne per Bundesgesetz ausser Kraft setzen. Mit einem Federstrich würden Coiffeusen in Genf oder Serviceangestellte in Graubünden um 200 Franken pro Monat ärmer. Für UBS-CEO Sergio Ermotti entspricht das nicht einmal einer Minute Arbeit. Eine solche Politik ist nichts anderes als Klassenkampf von oben.

Diese Politik ist genau verkehrt. Wir sollten sie vom Kopf auf die Füsse stellen: Statt Mindestlöhne zu senken, müssen wir endlich Berufe aufwerten, die unser Land am Laufen halten. Die Berufslehre ist das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft. Wer eine Lehre absolviert, verdient Respekt – und einen Lohn, von dem man leben kann. Es ist Zeit, einen neuen Standard zu setzen: ein Mindestlohn von 5000 Franken für alle ausgebildeten Fachkräfte.

Ein solcher Schritt würde die Kaufkraft stärken, die Attraktivität der Lehre erhöhen und der gefährlichen Schieflage entgegenwirken, die unsere Gesellschaft zu spalten droht. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Schweiz zu einem Land wird, in dem wenige im Luxus leben, während viele mit den Lebenshaltungskosten zu kämpfen haben. Die Demokratie lebt vom Versprechen, dass sich Leistung lohnt – nicht nur an der Spitze. Wenn wir dieses Versprechen ernst nehmen, dann müssen wir die Lohnschere schliessen, Mindestlöhne verteidigen und die Lehre endlich so aufwerten, wie sie es verdient.

Dieser Artikel erschien am 17.9.2025 in der Aargauer Woche. Die Studie der Gewerkschaft Unia gibts hier [PDF]. Das Beitragsbild ist der Gewerkschaftszeitung „Work“ entnommen.