Wissen Sie, wann sich die britische Insel vom europäischen Kontinent gelöst hat? Vor rund 450’000 Jahren, als die Spalte zwischen den beiden Erdteilen überflutet wurde. Genau so lange hätten Sie mit einem Schweizer Medianlohn von 85’000 Franken pro Jahr arbeiten müssen – ohne je einen Rappen für Essen, Wohnen oder Krankenkasse auszugeben –, um das Vermögen des reichsten Schweizers zu erreichen: Gérard Wertheimer, Besitzer mehrerer Luxusmarken, mit geschätzten 38 Milliarden Franken.
Diese Dimensionen der Ungleichheit sind schlicht krass. Die 300 reichsten Schweizer haben ihr Vermögen in den letzten 20 Jahren verdoppelt – auf heute 833 Milliarden Franken. 80% dieser Summen sind nicht erarbeitet, sondern geerbt. Jährlich werden in der Schweiz über 100 Milliarden Franken vererbt. Zwei Drittel davon gehen an die reichsten 10%. Eine eine Schicht von Oligarchen entsteht. Währenddessen stagniert die Lebensqualität der Mehrheit. Verdoppelt haben sich seit der Jahrtausendwende nur die Krankenkassenprämien. Die Wirtschaft wächst, die Gewinne sprudeln – doch bei den meisten kommt nichts an. Eine kleine Elite eignet sich den grössten Teil des Kuchens an und vererbt ihn weiter. Die Wahrheit ist: Die arbeitende Mehrheit wurde über Jahrzehnte ausgeplündert – von jenen ganz oben, in Chefetagen und Machtzentren.
Diese „Oligarchisierung“ der Vermögensverteilung gefährdet unsere Demokratie. Weltweit kontrollieren Superreiche zentrale Medienplattformen: X (ehemals Twitter), TikTok, Facebook, Instagram, WhatsApp – und immer mehr Zeitungen. In der Schweiz läuft es ähnlich. Mit teuren Kampagnen, Zeitungsübernahmen und Parteispenden sichern sich die Reichsten überproportionalen Einfluss in Politik und Gesellschaft. Das bedroht die Demokratie massiv.
Auch im Klimabereich torpediert Ungleichheit jede Anstrengung. Während der CO₂-Ausstoss der Mittelschicht seit 1990 stabil blieb, explodierte er beim reichsten Prozent. Superreiche verursachen heute rund 180 Tonnen CO₂ pro Kopf – 50% mehr als 1990. Mit Privatjets, Luxusautos und klimaschädlichen Investitionen sind sie das eigentliche Problem. Während die meisten Menschen versuchen, nachhaltiger zu leben, schert sich die Elite keinen Deut um die Zukunft.
Die JUSO, die Jungpartei der SP, schlägt deshalb eine Erbschaftssteuer ab 50 Millionen Franken vor: 50% Abgabe auf den Betrag darüber. Wer 100 Millionen vererbt, müsste 25 Millionen abgeben. Gegner:innen nennen das „radikal“. Doch die Erbschaftssteuer ist im Gegenteil eine zutiefst liberale Idee. Sie bestraft keine Leistung, denn niemand leistet etwas fürs Erben – es ist Zufall der Geburt. Schon die deutschen Liberalen forderten einst 75% Erbschaftssteuer, um – Zitat – „die schädliche Akkumulation grösster Vermögen“ zu verhindern. Radikal ist also nicht die Steuer, sondern die groteske Ungleichheit – und ihre Verteidigung wider jede Vernunft.
Sollte diese Erbschaftssteuer kommen, drohen die neuen Oligarchen, ins Ausland zu ziehen. Das Volk und die Demokratie müssen sich also entscheiden: Wollen wir uns wirklich von einer kleinen, radikalen Minderheit der abgehobenen Elite erpressen lassen? Gelten Regeln auch für jene mit dickem Portemonnaie – oder nicht? Die Antwort sollte allen stolzen Demokratinnen und Demokraten eigentlich leichtfallen.
Dieser Text ist am 16.10.2025 als Kolumne in den Zeitungen der Aargauer Woche erschienen.