Sexistischer Artikel gegen Baerbock: Muss das sein?

Gestern haben die Zeitungen von CH Media einen Artikel zum offiziellen Arbeitsstart der neuen Vorsitzenden der UN-Generalversammlung Annalena Baerbock (ehemalige deutsche Aussenministerin, Grüne) publiziert. Der Artikel enthält eine Reihe von typischen, sexistischen Stereotypen und rhetorischen Tricks, die oft verwendet werden, um gerade politisch aktive, gerade (vergleichsweise) junge Frauen abzuwerten. Ähnliche Artikel sind in anderen Schweizer Zeitungen erschienen und auch in Deutschland. Der Artikel ist ein Musterbeispiel sexistischer Stimmungsmache. Darum hier die wichtigsten Punkte dazu:

  • Baerbocks Amt als Vorsitzende der UN-Generalversammlung (immerhin das formell höchste Gremium der Welt) wird mit einem Planspiel für Schüler:innen verglichen. Das lässt das Amt kindisch erscheinen und weit weg von professioneller Weltpolitik. Ihre Auftritte sind ein „naiver Versuch von Selbstverwirklichung“. Man könnte auch sagen: Ja, das Amt ist primär symbolisch. Aber UN-Institutionen hochzuhalten ist gerade in Zeiten des geopolitischen Zerfalls eine wichtige Aufgabe. Als Joseph Deiss 2010 das gleiche Amt übernahm, schrieb die Aargauer Zeitung noch: „Mit der Wahl zum UNO-Präsidenten hat es Joseph Deiss so weit gebracht wie noch kein anderer alt Bundesrat vor ihm.“ Bei Tamedia (die jetzt ähnliche Artikel publizierten“ lobte man Deiss für die Wahl ins „höchste Amt der Welt“.

  • Der Artikel sexualisiert Baerbock mit einem starken Fokus auf Äusserlichkeiten. „Bauchnabel zeigen“, Stilettos in den Asphalt „rammen“, „lässig ein Taxi herbeiwinken“, „in die Kamera lachen“ (wie für Selfies), Musik von Alicia Keys/Jay-Z (also Pop- und nicht Hochkultur!). Es wird suggeriert, es gehe um Kleidung, Gesten und Inszenierung, sie wolle in New York „Sex and the city nachspielen“ –  nicht etwa politische Arbeit leisten. Die Frage ist ja, wenn nicht in Stilettos, lächelnd und lässig winkend, hätte Frau Baerbock in New York ein Taxi organisieren sollen? In Springerstiefeln, grimmig dreinblickend und den Mittelfinger zeigend? Ganz abgesehen davon, dass sich kaum ein:e Politiker:in heute nicht auf Social Media inszeniert.

  • Natürlich muss dann auch ein Mann kritisiert werden, damit man gerade nicht sagen kann, Frauen würden anders beurteilt. Das gelingt aber dem Autor nicht ganz. Zwar sei auch Söder „kindisch“ in seinem Social Media Auftritt, diese Auftritte seine aber „kalkuliert“ und „zweckdienlich“. Bei Baerbock ist es dann „naiv“ und „verfehlt“, also strategielos (= emotional) und unprofessionelle. Warum genau Söder professioneller sein soll wird nicht klar.

  • Der Klassiker des „Zickenkriegs“ fehlt auch nicht. Natürlich habt Baerbock eine Konkurrentin „ausgebootet“, um den Posten zu erhalten. Sie hat sich nicht etwa „durchgesetzt“, wie man vielleicht bei einem Mann sagen würde, sondern eine Nebenbuhlerin mit wahrscheinlich nicht ganz sauberen Methoden ausgeschaltet. Wie sonst sollte sonst eine vergleichsweise junge Frau so erfolgreich sein? Auch die anderen „Karriere“frauen sind selbstverständlich primär neidisch und fragen sich, was die Baerbock da macht.

Natürlich darf man Frau Baerbock kritisieren wie jede und jeden Politiker:in (einfach, um der Nachfrage zuvorzukommen). Annalena Baerbock und ich haben in ganz vielen Fragen das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Aber muss man(n) 2025 wirklich noch solchen stereotypen, sexistischen Mist abdrucken?

Der Artikel im Wortlaut:

«Model United Nations» heisst ein Planspiel, das es Schülern und Studenten ermöglicht, an einen Standort der Vereinten Nationen wie New York oder Genf zu reisen und mit Gleichaltrigen aus aller Welt Sitzungen des UNO-Sicherheitsrats oder der Generalversammlung zu simulieren. Ob Annalena Baerbock, die frühere deutsche Aussenministerin, jemals an einem solchen Programm die Vertreterin ihres Landes spielen durfte, ist nicht bekannt. Nachholbedarf scheint die Grünen-Politikerin in dieser Hinsicht jedenfalls zu haben, denn ihr Posten als Vorsitzende der UNO-Generalversammlung, den sie heute antritt, scheint für sie vor allem eines zu sein: ein grosser Spass, bei dem die Grenzen zwischen Realität und Rollenspiel, Weltpolitik und infantiler Inszenierung verschwimmen.

Markus Söder macht es professioneller

Ihren Posten in New York hat Baerbock ergattert, indem sie die erfahrene Diplomatin Helga Schmid, die eigentlich dafür vorgesehen war, ausgebootet hat. Das sorgte in Deutschland für einige Kritik. Wer meint, dass die Ex-Ministerin darauf reagieren würde, indem sie sich um Dezenz und Taktgefühl bemüht, irrt. Seit sie in New York ist, inszeniert sich Baerbock in sozialen Netzwerken, als wäre sie zum ersten Mal in Amerika und wollte dort Serien wie «Sex and the City» nachspielen.

Auf Instagram liess sie unter anderem ein Video verbreiten, in dem sie lässig ein New Yorker Taxi heranwinkt, dabei kurz ihren Bauchnabel zeigt, beim Aussteigen vor dem UNO-Gebäude am East River ihren Stiletto in den Asphalt rammt und in die Kamera lacht. Unterlegt ist das Ganze mit seichter Popmusik von Alicia Keys und Jay-Z.

Dass das Video in ihrem Heimatland einen Sturm der Häme auslösen würde, musste Baerbock eigentlich klar sein. Vielleicht wird sie schlecht beraten, vielleicht ist es ihr aber auch egal. Insofern geht der Vergleich mit Markus Söders Inszenierungen, den die Zeitung «Die Welt» zog, in die Irre. Denn was beim bayrischen Ministerpräsidenten kühl kalkuliert sein dürfte, wirkt bei Baerbock wie ein sehr naiver Versuch von Selbstverwirklichung.

Die Selbstdarstellung des Christsozialen, der sich auf Instagram als Wurst- und Leberkäs-Esser präsentiert, ist zwar ähnlich kindisch und dürfte viele auch ähnlich aufregen wie Baerbocks Videos, aber sie erfüllt eben einen Zweck: Söder erreicht damit eine Zielgruppe, die ihre Alltagsgewohnheiten durch angebliche Bevormundung in Gefahr sieht. Baerbock hingegen dürfte sämtliche Zielgruppen verfehlen: «War die denn noch nie in New York!?», dürften sich andere Karrierefrauen fragen.

Auch Robert Habeck strebt nach Amerika

Dass die Metropole im Osten der USA den Hintergrund für Baerbocks Inszenierung abgibt, ist insofern bemerkenswert, als Amerika in dem politischen Milieu, dem Baerbock entstammt, derzeit eher schlecht angeschrieben ist. Auch für ihren Parteikollegen Robert Habeck bleiben die Vereinigten Staaten aber ein Sehnsuchtsziel: Er will nächstes Jahr eine Gastprofessur im kalifornischen Berkeley antreten. Amerika scheint aus Sicht deutscher Grüner also trotz Trump noch zu retten zu sein.

Vielleicht bewirkt Habeck als Dozent ja mehr als Baerbock, deren Tätigkeit darin besteht, Sitzungen eines einflussarmen Gremiums zu leiten, in dem vor allem Schaufensterreden gehalten werden. Was die Ex-Ministerin motiviert hat, sich den Job zu nehmen, wird noch immer nicht so recht klar: Einen längeren Aufenthalt in New York hätte sie wohl auch privat finanzieren können. Sie selbst begründete ihren Umzug groteskerweise damit, einen «Schritt aus dem grellen Scheinwerferlicht» tun zu wollen.