Fast schon ritualhaft erleben wir fast jedes Jahr den Aufschrei von Rechts wegen der angeblichen „Ausländerkriminalität“, wenn die Polizeiliche Kriminalstatistik publiziert wird. Diese Debatte geht mir langsam auf die Nerven. Nicht, weil ich nicht gegen Kriminalität wäre, wer ist das schon? Sondern weil diese Diskussion so wie sie im Boulevard bis SRF-Club geführt wird, halt wirklich wenig bringt. Aber der Reihe nach. Zuerst kurz:
Was sagt uns überhaupt die Polizeiliche Kriminalstatistik 2024 überhaupt?
- Was zunimmt sind die Anzeigen wegen schwerer Körperverletzung, vor allem mit Stichwaffen und Messern.
- Es gibt deutlich mehr Anzeigen wegen Straftaten, die Anzahl der Beschuldigten steigt weniger stark. Das zeigt sich auch in der tiefen Rate der Aufklärung. Viele Verbrechen im Bereich der Cyberkriminalität, der Vermögensdelikte oder des Einbruchs sind offenbar schwierig aufzuklären.
- Was stark zunimmt sind die Anzeigen wegen Vergewaltigung. Das muss nicht unbedingt auf mehr Vergewaltigungen hinweisen. Eine „positive“ Erklärung, die viele Expert:innen äussern, ist, dass die öffentliche Debatte über das kürzlich revidiert Sexualstrafrecht und die Gewalt an Frauen mehr Frauen ermutigt, die Täter anzuzeigen. Man geht weiterhin davon aus, dass nur eine von zehn Vergewaltigungen überhaupt angezeigt werden. Dazu kommt, dass ein neues Gesetz in Kraft getreten ist, mit welchem die Schwelle für eine Anzeige sinkt.
- Wenn wir etwas zurück schauen, lässt sich sagen, dass die Straftaten nach Strafgesetzbuch in der Schweiz in den letzten 10 Jahren stark abnehmen. Die Anzahl der Anzeigen war 2012, 2013 höher als heute, seither gehen die Werte tendenziell zurück. Allerdings steigen seit 2022 vor allem die Anzeigen wegen schwerer Körperverletzung deutlich an. Nicht vergessen sollte man auch, dass trotz diesem Anstieg die Schweiz noch mit Abstand zu den weltweit sichersten Ländern gehört.
Was ist die Polizeiliche Kriminalstatistik und was nicht?
Zuerst ist wichtig, einige Dinge festzuhalten, was die Polizeiliche Kriminalstatistik ist und was sie nicht ist. Die PKS ist zuerst das, was im Namen steht. Sie sagt also vor allem etwas über die Arbeit der Polizei aus, resp. mit was die Polizei beschäftigt war. Zweitens ist es wichtig zu beachten, dass die Statistik Anzeigen registriert. Das müssen nicht unbedingt mit der effektiven Zahl der Straftaten übereinstimmen, wir kommen darauf zurück. Drittens erfasst die PKS drei Bereiche: das Strafgesetzbuch, das Betäubungsmittelgesetz und das Ausländer- und Integrationsgesetz. Gewisse Dinge, die im Alltagsgebrauch als Straftat gelten, sind hier nicht abgedeckt, z.B. Steuerhinterziehung. Gerade in diesem Bereich entfallen also viele Straftaten (im Sinne des Alltagsgebrauchs), die vor allem gut betuchte Schweizer:innen begehen. Kurz: Die PKS zeigt einen Ausschnitt des gesellschaftlichen Bildes und nicht die ganze Realität. Die Statistik ist korrekt, keine Frage, aber sie taugt längst nicht zur Beantwortung aller Fragen, für die sie insbesondere von rechts gerne herangezogen wird.
Was also ist jetzt mit der Ausländergewalt? Schuld ist meine Schwiegermutter!
Nun, die Sache ist die, um das gleich vorneweg zu nehmen: Es gibt keine Ausländergewalt. Kontrolliert man die Statistik für die effektiven Verurteilungen (nicht nur Anzeigen), vor allem aber für Kriterien wie Geschlecht und Alter, dann sind Ausländer:innen nicht krimineller als Schweizer:innen. Warum also sind sie in der PKS trotzdem übervertreten, gemessen an ihrem Anteil an der Bevölkerung? Es gibt dafür mindestens sechs Gründen:
- Ca. 10% der erfassten Anzeigen in der PKS betreffen das Ausländer- und Integrationsgesetz. Gegen viele Bestimmungen dieses Gesetzes können Schweizer:innen gar nicht verstossen, weil sie nicht Ausländer:innen sind.
- Die PKS differenziert verschiedene Kategorien von Ausländer:innen sauber, in der politischen Debatte wird das aber oft zusammengeworfen. Dann landen Asylsuchende zusammen mit Kriminaltourist:innen – also Leute, die bewusst zu Verübung einer Straftat einreisen, aber sonst eigentlich mit der Schweiz gar nichts zu tun haben – in der gleichen Kategorie. Wie stark das verzerrt, sieht man beispielsweise daran, dass der Anteil der Anzeigen gegen Asylsuchende gerade nicht gestiegen ist.
- Es werden nicht alle Menschen gleich angezeigt. Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die sog. nicht phänotypisch schweizerisch aussehen (also nicht weiss vor allem), öfters angezeigt werden.
- Racial Profiling: Genaue Zahlen gibt es nicht, aber alle Untersuchungen zeigen klar, dass Menschen, die eben „nicht klassisch schweizerisch“ aussehen, öfters von der Polizei kontrolliert werden. Das betrifft vor allem People of Colour. Logischerweise steigt die Anzahl Treffer.
- Eine deutsche Studie zeigt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Migrationsanteil in der Gemeinde und Kriminalität, dass aber gleichzeitig die Kriminalität nicht steigt, wenn mehr Menschen zuwandern. Wie ist das möglich? Nun, der Zusammenhang ist genau umgekehrt, als man vielleicht spontan vermuten würde: Menschen mit Migrationshintergrund sind aus finanziellen Gründen öfter gezwungen in Gebiete zu ziehen, in denen die Kriminalität höher ist, nicht umgekehrt. Wie gut das auf die Schweiz passt, darüber kann man im Detail streiten, die generelle Aussage dürfte stimmen.
Der wichtigste und sechste Grund aber für die Überrepräsentation von Ausländern in der PKS ist meine Schwiegermutter. Warum das? Nun, weil sie, obwohl über 70 und echt selten versucht das Strafrecht zu brechen, mitgezählt wird, wenn der Anteil der Täter:innen an der Gesamtheit der Schweizer:innen berechnet wird. Schaut man hingegen die demografische Verteilung derjenigen an, die in die Schweiz eingewandert sind, dann sind Junge, insbesondere junge Männer stark überrepräsentiert. Ihre Grossmütter bleiben meist Heimatland, ob dies nun Deutschland oder Syrien ist. Korrigiert man die Kriminalstatistiken um das Geschlecht, Alter und sozioökonomischen Status, fällt europaweit das gleich auf: Straffällig werden vor allem Männer so bis 40. Das hat viel damit zu tun, wie Männer in fast allen Kulturen sozialisiert werden. Fast überall sind Männer gewalttätiger nicht nur gegenüber Frauen, sondern auch gegenüber anderen Männern. Wenn man Kriminalität jenseits von Polemik bekämpfen will, dann muss man männliche Rollenbilder bekämpfen. Dann müssen wir darüber reden, warum Männer immer noch glauben, Frauen besitzen und Probleme mit Gewalt lösen zu können. Wir müssten veraltete Rollenbilder konsequent überwinden. Und wir müssten dafür sorgen, dass Frauen ökonomisch unabhängiger werden, also nicht bei ihren gewalttätigen Männern bleiben müssen. Das würde aber bedeuten in Kitas zu investieren, in Frauenhäuser, in die Löhne und Arbeitsbedingungen von sog. „Frauenberufe“. Wenn das klar wird, wird auch klar, warum rechte Männer eben lieber über die vermeintliche Ausländergewalt sprechen…
By the way, die These von der „importierten“ Kriminalität hat der Kriminologe Martin Killias bereits 2008 mit einer Studie widerlegt. Er hat festgestellt, dass Jugendliche z.B. aus dem Westbalkan in ihren Heimatländern im Schnitt sogar weniger kriminell sind als Jugendliche in der Schweiz.
P.s. I: Wir besprechen das Thema übrigens auch hier im Live-Podcast Meyer: Wermuth vom 2.4.2025 im Kiff in Aarau.
P.s. II: Dirk Baier, Soziologe, hat die PKS in einem Tagesgespräch von SRF Radio hervorragend eingeordnet.
Quellen:
Dirk Baier, Anstieg der Kriminalität in der Schweiz: Zur Bedeutung des Faktors Staatsangehörigkeit, in Risiko und Recht 02/2024, S. 6- 26