Zuwanderung macht glücklich – das sage nicht ich, das sagt die Schweizer Bevölkerung. In einer neuen Umfrage wurden die Menschen in der Schweiz gefragt, wie sich die Lebensqualität in ihrer persönlichen Einschätzung an ihrem Wohnort in den letzten zehn Jahren entwickelt hat. Das Resultat: Die Lebensqualität ist aus der Sicht der Menschen (nicht irgendwelcher Statistiken) dort stark gestiegen, wo die Bevölkerung stark gewachsen ist. Negativ wird die Entwicklung der Lebensqualität dort beurteilt, wo die Bevölkerung schrumpft. Dieses Ergebnis ist fast spektakulär, angesichts der Dauerkampagne von Medien und gewissen Parteien, die die Zuwanderung für jeden umfallenden Kartoffelsack verantwortlich machen wollen.
Im Grunde ist es relativ einfach. Alle Gesellschaften haben nur drei Optionen:
- Menschen wandern zu
- Menschen wandern ab
- Menschen wandern weder zu noch ab – was eigentlich nur in totalitären Staaten wie Nordkorea vorkommt
Man kann in ganz Europa beobachten, dass Wohlstand und Lebensqualität dort wachsen, wo Menschen zuwandern – und umgekehrt. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass sich der Frust über die politischen Verhältnisse vor allem dort zeigt, wo die Bevölkerung schrumpft. Genau dort sind migrationsfeindliche und rechtsextreme Parteien überdurchschnittlich stark.
Warum ist es dann trotzdem so beliebt unter Politikern, Menschen mit einem anderen Pass für alles zum Sündenbock zu machen? Nun, das ist die älteste Politikregel: Ablenken vom eigenen Versagen und der eigenen Selbstbereicherung. Nehmen wir die aktuelle Debatte über die zu hohen Mieten in der Schweiz. Anscheinend, so der Tenor, sei die hohe Zuwanderung schuld daran. Das lässt sich kaum halten. 2002 wurde die volle Personenfreizügigkeit eingeführt. Seither ist Bestand der leeren Wohnungen bis 2020 stetig angestiegen und erreichte dann ein neuen Langzeitrekord. Seither geht der Leerwohnungsbestand zwar etwas zurück, er ist aber immer noch höher als 2002. Die Entwicklung der Mieten kannte aber nur eine Richtung: Sie sind explodiert, ganz egal wie das Verhältnis von Bevölkerungswachstum zur Anzahl neu gebauter Wohnungen war. Der Grund liegt darin, dass zunehmend profitorientierte Konzerne auf den Immobilienmarkt drängen. Diese bauen nicht unbedingt das, was die Menschen brauchen, sondern das, was die beste Rendite bringt. Also mehr Luxussanierungen und Business-Appartements, weniger Familienwohnungen für die Mittelklasse. Warum korrigiert die Politik nicht? Die Antwort ist bitter. Die Mieten steigen, weil die Mehrheit der vermeintlichen Volksvertreter ihre Stimme im Parlament an die Immobilienhaie verkauft hat. Jeder zweite Vertreter der SVP in Bundesbern steht auf der Lohnliste der Immobilienlobby. Bei der FDP sind es sogar 60%, 45% bei der Mitte.
Die ganze Zuwanderungsdebatte ist vor allem eines: ein gigantisches Ablenkungsmanöver. Die 300 Reichsten haben dieses Jahr nochmals an Vermögen zugelegt – plus 25 Milliarden, sie besitzen inzwischen 850 Milliarden Franken. Gleichzeitig gehen die Löhne im Schnitt zwischen 2020 und 2025 real zurück – und das erstmals seit den 1970 Jahren. Mieten, Krankenkassenprämien und Lebenshaltungskosten explodieren und mit ihnen die Konzerngewinne. Im Klartext: Die Mehrheit der Lohnabhängigen wird von den eigenen Eliten ausgeplündert. Damit sich nicht zu viele Leute dagegen wehren, braucht man einen Sündenbock. Und findet ihn, wie so oft, bei den Fremden.
Dieser Text erscheint als Kolumne in den Zeitungen der Aargauer Woche.
Zur Studie: https://sotomo.ch/site/projekte/stadt-land-monitor-2025/